Lernziele
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kennen Sie verschiedene Ziele der klimasensiblen Gesundheitsberatung und können eine informierte Entscheidung treffen, welche davon Sie verfolgen wollen,
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sind Ihnen wesentliche Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit geläufig, die für Patient:innen in der Primärversorgung relevant sind,
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wissen Sie um mögliche Methoden, die in der klimasensiblen Gesundheitsberatung eingesetzt werden können,
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kennen Sie Quellen, mithilfe derer Sie Inhalte oder Methoden der klimasensiblen Beratung weiter vertiefen können,
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sind Ihnen Beispiele bekannt, wie Sie Themen zu Klimawandel und Gesundheit in die alltägliche Beratung Ihrer Patient:innen integrieren können.
Hintergrund zur klimasensiblen Gesundheitsberatung
„Gesundheit und Wohlergehen der Menschen hängen ganz wesentlich vom Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ab. Klimaschutz ist deshalb immer auch Gesundheitsschutz. Es ist unsere ärztliche Pflicht, auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen und uns für die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele einzusetzen.“ (Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer) [10]
Rahmenwerk für klimasensible Gesundheitsberatung
Ziele
Themenfelder
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über unterschiedliche gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels (z. B. auf Allergien) aufklären und
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dies mit Hinweisen zu entsprechenden Anpassungsmaßnahmen verknüpfen,
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Aufklärung zu gesunden Lebensstilen mit Hinweisen zur Klimafreundlichkeit verbinden,
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weitere Klimaschutzaspekte und gesellschaftliche oder politische Inhalte ansprechen.
Themenfelder | Kategorien | |
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Gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und Anpassungsmaßnahmen | Psychische Erkrankungen | Erhöhte Prävalenz von posttraumatischen Belastungsstörungen und Suchterkrankungen nach Extremwetterereignissen |
Neue Phänomene: Solastalgie (negative emotionale Reaktion auf Umweltzerstörung und Verlust von Naturumgebung), Klimaangst (Ängste im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Klimawandels) | ||
Beispielhafte Anpassungsmaßnahmen: | ||
Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und ggf. Ängsten in Bezug auf den Klimawandel, um die Thematik mit Patient:innen ansprechen und negative Gefühlsbeschreibungen akzeptieren und aushalten zu können | ||
Beratung zum Umgang mit Angst, ggf. Ermutigung zu Engagement und zum Zusammentun mit anderen, bei stärkeren Belastungen ggf. therapeutische Interventionen | ||
Infektionskrankheiten | Geografische Ausbreitung nach Norden und in Höhenzüge hinein von bereits heimischen Vektoren (z. B. Zecken → Borreliose, FSME) | |
Ansiedlung neuer Vektoren mit dem geringen Risiko lokal begrenzter Ausbrüche von vormals tropischen Erkrankungen (Tigermücke → z. B. Dengue-Virus) | ||
Beispielhafte Anpassungsmaßnahmen: | ||
Aufklärung über FSME-Risiko bis in den Herbst hinein | ||
Eigene Fortbildung zu Symptomatik tropischer Erkrankungen | ||
Respiratorische Erkrankungen | In Hitzewellen und bei hoher Luftverschmutzung vermehrt Exazerbationen chronischer Lungenerkrankungen (z. B. COPD, Asthma bronchiale) | |
Bodennahes Ozon (O3) wird bei Hitze und starker UV-Strahlung vermehrt gebildet und führt zu Atemwegsbeschwerden, insbesondere bei Menschen mit respiratorischen Erkrankungen | ||
Beispielhafte Anpassungsmaßnahmen: | ||
Beratung zur Vermeidung starker Hitze-Exposition und Verhaltensempfehlungen bei Hitze und Luftverschmutzung (Exposition vermindern, Ozon-Warn-App, Masken tragen) | ||
Allergien | Neue allergene Pflanzen werden in Deutschland heimisch (z. B. Ambrosia), hohe Allergenität, v. a. im Spätsommer und Herbst | |
Verlängerte Pollensaison durch höhere Durchschnittstemperaturen | ||
Erhöhte CO2-Konzentration kann die Pollenproduktion erhöhen | ||
Pollen in Verbindung mit Feinstaub haben höheres immunmodulatorisches Potenzial | ||
Beispielhafte Anpassungsmaßnahmen: | ||
Berücksichtigung neuer Allergene in der Diagnostik | ||
Verstärkte Aufklärung über Reduktion der Pollenexposition z. B. durch Nutzung des Pollenwarn-Apps und Masken; Anpassung der Zeit im Freien (reduzieren bzw. auf pollenarme Zeiten verlegen, z. B. nach Regenschauer); Haare abends waschen, um Pollen auszuspülen; Straßenkleidung außerhalb des Schlafzimmers ablegen | ||
Kardiovaskuläre Erkrankungen | In Hitzewellen vermehrt Herzinfarkte, Schlaganfälle, Dekompensation bei bestehender Herz- oder Niereninsuffizienz | |
Luftschadstoffe (v. a. Feinstaub, Stickstoffdioxid [NO2] und bodennahes Ozon [O3]) haben negative Effekte auf kardiovaskuläre Erkrankungen | ||
Beispielhafte Anpassungsmaßnahmen: | ||
Aufklärung zur Verhaltensanpassung bei Hitze (insbesondere Maßnahmen zur aktiven Abkühlung bei Älteren – Duschen, kalte Arm- und Fußbäder usw.) | ||
Vorsommerlicher Medikamenten-Check-up und Aufklärung zum verbesserten Selbstmanagement (Gewichtskontrollen bei Diuretikaeinnahme in Hitzewellen, Lagerungshinweise bei Insulin usw.) | ||
Dermatologische Erkrankungen | Wärmere Temperaturen verändern das Freizeitverhalten hin zu vermehrter UV-Exposition: malignes Melanom, nichtmelanotischer Hautkrebs (komplexe Zusammenhänge mit Verhalten) | |
Beispielhafte Anpassungsmaßnahmen: | ||
Aufklärung über Hochrisikogruppen hinaus | ||
Gesunde und nachhaltige Lebensstile | Ernährungsgewohnheiten | Vermehrt pflanzenbasierte Ernährung kann durch vermehrte Aufnahme von Ballaststoffen und ungesättigter Fettsäuren sowie verminderter Aufnahme von rotem und verarbeitetem Fleisch gesünder sein und reduziert landwirtschaftliche Treibhausgasemissionen |
Es besteht Beratungsbedarf zu einer gesunden Gestaltung vegetarischer und veganer Ernährungsformen. Beispiele: Bei veganer Ernährung muss Vitamin B12 supplementiert werden; gute pflanzliche Eiweißquellen sind Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen; gute pflanzliche Eisenquellen sind Hafer, Hirse, Leinsamen und andere Saaten, Vitamin C fördert die Eisenaufnahme; kalziumhaltige Lebensmittel (Milch, Joghurt) sowie Kaffee und schwarzer Tee hemmen sie | ||
Mobilitätsverhalten | Aktive Mobilität (z. B. Fahrrad statt Auto) hat überwiegend positive Gesundheitseffekte (Cave: Verkehrssicherheit beachten) und reduziert Treibhausgasemissionen | |
Verbundenheit mit Natur | Zeit in der Natur zu verbringen, hat positive gesundheitliche Auswirkungen z. B. auf das Wohlbefinden, kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Hypertonus) | |
Zeit in der Natur zu verbringen, kann die Verbundenheit zu Natur und damit Bereitschaft für Klimaschutz stärken | ||
Andere nachhaltige Lebensstilaspekte | Nachhaltiges Konsumverhalten (Energieverbrauch, Einkauf von Waren) | |
Klimaschutz und politische Aspekte | Möglichkeiten für Engagement gegen den Klimawandel | Möglichkeiten für Klimaschutzengagement aufzeigen (z. B. im Rahmen von Vereinen, gesellschaftlichen Bewegungen usw.), kann ggf. als Intervention bei mentaler Belastung durch den Klimawandel dienen |
Zusammenhang zwischen Verhalten, Politik und Klimawandel | Individuelles Verhalten, politische Rahmenbedingungen und Klimawandel hängen eng zusammen | |
Die Einbettung individueller Verhaltensweisen in einen gesellschaftlichen Kontext kann für Menschen entlastend sein |
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Englischer Übersichtsartikel aus dem New England Journal of Medicine: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmra1807873
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Deutscher kostenloser Online-Kurs für Ärzt:innen „Klimawandel – Was ändert sich in der Patientenversorgung?“: https://high-edu.courses/
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Deutscher kostenloser Online-Kurs für alle Disziplinen „Planetary Health – Gesunde Erde. Gesunde Menschen?“: https://open.vhb.org/blocks/ildmetaselect/detailpage.php?id=295
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Lernplattform mit vielen Videoformaten: https://planetary-health-academy.de/
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Website der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e. V.) mit vielen grundsätzlichen Informationen: https://www.klimawandel-gesundheit.de/planetary-health/
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Open-Access-CME-Artikel zu Epidemiologie und Prävention hitzebedingter Gesundheitsstörungen: https://link.springer.com/article/10.1007/s00391-019-01594-4
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Buch: Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän: https://www.mwv-berlin.de/produkte/!/title/planetary-health/id/791
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Buch: Heidelberger Standards der Klimamedizin: https://shop.heidelbergerklinischestandards.de
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kardiovaskuläre Erkrankungen,
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dermatologische Erkrankungen,
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gesunde und nachhaltige Lebensstile.
Kommunikationsstrategien
Gesundheitsberatung
Kommunikationsbeispiel: klimasensible Beratung zu Ernährungsgewohnheiten | ||
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Aussage Patient | Herr M.: „Der Herzinfarkt war wirklich ein Weckruf für mich. Ich habe schon länger überlegt, etwas an meiner Ernährung zu ändern. Jetzt wäre ich bereit dazu. Können Sie mir da weiterhelfen?“ | |
Gesprächsverlauf | Implizit (ohne Benennung von Klimaaspekten) | Explizit (mit Benennung von Klimaaspekten) |
Nach einer genaueren Anamnese zum Ernährungsverhalten fällt der hohe Konsum von Fleisch, Käse und Butter in Verbindung mit einer hohen Kalorienzufuhr auf. Hausarzt/-ärztin: „Ein Ansatzpunkt bei Ihnen wäre, insgesamt mehr Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu essen. Dies entspricht auch den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Danach sollte nur an wenigen Tagen in der Woche Fleisch und Wurst gegessen werden. Linsen, Pilze und Nüsse sind z. B. gute pflanzliche Eiweißquellen. Das wäre dann auch gut für Ihr Herz. Ist das ein Bereich, in dem Sie sich vorstellen könnten, Ihre Ernährung umzustellen?“ | Hausarzt/-ärztin: Siehe Gesprächsverlauf bei „Implizit“. Dann: Herr M.: „Ja, das könnte ich mir schon vorstellen. Meine Tochter ist ja Vegetarierin, ich glaube vor allem wegen des Klimas. Das habe ich aber noch nie so recht verstanden …“ Hausarzt/-ärztin: „Ja, da hat Ihre Tochter schon recht. Tatsächlich entstehen in der Produktion von Wurst, Fleisch und Milchprodukten deutlich mehr Treibhausgase als bei der Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln. Insofern ist diese Art der Ernährung nicht nur gut für Ihr Herz, sondern auch dafür, den Klimawandel so abzumildern, dass alle Menschen gut auf unserer Erde leben können.“ | |
Angestrebte Ziele | Individuelle Gesundheit fördern | Individuelle Gesundheit fördern |
Klimaschutz und Lebensstiländerung fördern | Klimaschutz und Lebensstiländerung fördern | |
Wissen und Bewusstsein für Klimawandel und Gesundheit stärken |
Klimawandelkommunikation
Integration in die Praxisabläufe
Ausblick
Fazit für die Praxis
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Klimasensible Gesundheitsberatung bedeutet die Integration von Themen rund um Klimawandel und Gesundheit in die Beratung von Patient:innen.
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Dies kann im Rahmen der normalen hausärztlichen Sprechstunden und Praxisabläufe durchgeführt werden.
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Klimasensible Gesundheitsberatung kann Inhalte zu Klimawandel und Gesundheit unter expliziter Nennung des Klimawandels vermitteln oder dies nur implizit tun (z. B. zu pflanzenbasierter Ernährung oder aktiver Mobilität beraten, ohne den Klimaschutzaspekt zu benennen).
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Das Vorgehen ist individuell und orientiert sich dabei u. a. an der patient:innenzentrierten Kommunikation und weiteren etablierten Strategien der Gesundheits- (z. B. motivierende Gesprächsführung) und der Klimawandelkommunikation (z. B. Betonung von gesundheitlichen „co-benefits“).