Studiendesign, Datengrundlage und Studienpopulation
Wir führten eine retrospektive, längsschnittliche Beobachtungsstudie über die Jahre 2012–2018 als Sekundäranalyse durch. Datengrundlage bildeten die Abrechnungsdaten der AOK Plus zu Thüringer Versicherten ≥ 60 Jahre aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt „Impfen60+ – Impfbereitschaft 60+ fördern“ (Förderkennzeichen: 03ZZ0819B; [
15]). Diese Abrechnungsdaten dienten in der Primärstudie der gesundheitsökonomischen Evaluation der Influenza- und Pneumokokkenimpfungen [
16] sowie der Analyse der Impfeffekte hinsichtlich der Krankheitslast [
17] und unterlagen daher definierten Einschlusskriterien (siehe Onlinematerial).
Die AOK Plus ist die größte GKV in Thüringen und deckt über 50 % der gesetzlich Versicherten ab [
18]. Es lagen Abrechnungsdaten aus allen ambulanten und stationären Leistungsbereichen für die Jahre 2012–2018 vor. Anhand einer individuellen pseudonymisierten Identifikationsnummer konnten die in Anspruch genommenen Leistungen einem bzw. einer Versicherten über den gesamten Beobachtungszeitraum zugeordnet werden. Die Identifikation der Impfungen erfolgte anhand aller relevanten Gebührenordnungspositionen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (siehe Onlinematerial Tabelle A1). In Design, Durchführung und Bericht der Studie folgen wir den Empfehlungen der Standardisierten Berichtsroutine für Sekundärdaten Analysen (STROSA; [
19]).
Ausgangspopulation der Sekundäranalyse bildeten die Daten von 142.022 Versicherten (für eine Abgrenzung zur Studienpopulation der Primärstudie, siehe Onlinematerial Abb. A1). Hiervon wurden nur Versicherte eingeschlossen, die 2014Q34 eine Influenzaimpfung erhalten hatten. Weitere Einschlusskriterien waren: mindestens 60 Jahre zum 01.01.2012, durchgängig bei der AOK Plus versichert, Wohnsitz in Thüringen im Zeitraum 2012–2018. Ausgeschlossen wurden Versicherte, die im Beobachtungszeitraum verstarben oder keine Influenzaimpfung bzw. nur eine Pneumokokkenimpfung erhalten hatten.
Datenaufbereitung
Die Anzahl der Saisons mit Influenzaimpfungen wurde im Zeitraum 2012–2018 gemessen. Ein Versicherter bzw. eine Versicherte galt in einer Saison als geimpft, wenn in Q341 mindestens eine Influenzaimpfung abgerechnet wurde (siehe Onlinematerial Tab. A1). Ausnahme bildet die Saison 2018Q34, da die Daten für 2019 nicht vorlagen und somit 2019Q1 nicht berücksichtigt werden konnte. Zur besseren Lesbarkeit wird das Outcome im Folgenden verkürzt als „Anzahl der Influenzaimpfungen“ benannt.
Auf Basis der STIKO-Empfehlung [
7], einer explorativen Literaturrecherche sowie Expertenmeinungen im Bereich der Geriatrie und Infektiologie wurden in GKV-Abrechnungsdaten enthaltene Versichertenmerkmale identifiziert, die im Zusammenhang mit der Anzahl der Influenzaimpfungen stehen können. Eines dieser Merkmale ist die Altersgruppe (zum 01.01.2012), da Ältere sich häufiger gegen Influenza impfen lassen [
20] bzw. das Alter in Zusammenhang mit der Regelmäßigkeit der Impfung steht [
10]. Ein weiteres Merkmal ist das Geschlecht, da Frauen sich laut Studien häufiger und regelmäßiger impfen lassen [
10,
21,
22].
Die bestehende Impfempfehlung für Pflegeheimbewohner:innen und die Erkenntnis, dass mit Einzug ins Pflegeheim auch die Impfquoten steigen [
23], ließen die Annahme zu, dass Pflegebedürftige sich grundsätzlich häufiger impfen lassen. Daher wurden als mögliche Prädiktoren die Pflegestufe (PflS), die aufgrund fehlender Daten für die Folgejahre als Stichtagsangabe zum 31.12.2013 Berücksichtigung fand, sowie der Pflegeheimaufenthalt im Zeitraum 2012–2018 einbezogen. Eine versicherte Person galt dann als Pflegeheimbewohner:in, wenn in jedem Jahr mindestens ein Pflegeheimaufenthalt vorlag. Versicherte, die im gesamten Zeitraum 2012–2018 keinen Pflegeheimaufenthalt hatten, wurden als durchgängig nicht im Pflegeheim lebend gekennzeichnet. Um eine Reduktion der Teststärke durch Fallausschluss zu verhindern und im Regressionsmodell die gesamte Studienpopulation betrachten zu können, wurden Versicherte, die weder durchgängig im Pflegeheim noch durchgängig in der Häuslichkeit lebten, einer dritten Gruppe („Mischform“) zugewiesen. Die Heterogenität dieser dritten Gruppe verhindert eine klare Interpretation ihrer Ergebnisse, weshalb auf diese nicht explizit eingegangen wird.
Unter der Annahme, dass Versicherte mit regelmäßigen ärztlichen Kontakten häufiger geimpft werden, wurde zur Abbildung der Versorgungskontinuität die Anzahl der Jahre mit Einschreibung in ein Disease-Management-Programm (DMP) im Zeitraum 2012–2018 herangezogen, da hierin regelmäßige Vorstellungen in der Arztpraxis erforderlich sind.
Zur Berücksichtigung impfrelevanter Grunderkrankungen wurden Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung identifiziert. Dies traf dann zu, wenn im Jahr 2013 mindestens eine primäre oder sekundäre Krankenhausentlassungsdiagnose oder gesicherte ambulante Diagnose nach der 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10-GM) codiert war, die gemäß der Influenzaimpfempfehlung einer Erkrankungsgruppe für eine Indikationsimpfung zugeordnet werden konnte ([
24]; siehe Onlinematerial Tab. A2). Zusätzlich wurde die Summe der Charlson-Komorbiditäten des Charlson Comorbidity Index (CCI) nach der Definition von Schwarzkopf et al. [
25] ermittelt (siehe Onlinematerial Tab. A3). Diese können mit einer häufigeren Impfung einhergehen [
26,
27] und wurden ebenfalls anhand des Vorliegens von mindestens einer primären oder sekundären Krankenhausentlassungsdiagnose oder gesicherten ambulanten Diagnose nach ICD-10-GM im Jahr 2013 identifiziert.
Um zu eruieren, welche Arztgruppen an der Impfung beteiligt sind und ob Versicherte, die sich häufiger impfen lassen, dies dann auch in derselben Arztpraxis tun, wurde zudem die Anzahl der Influenzaimpfungen durch Hausärzt:innen sowie durch dieselbe Arztpraxis beschrieben. Als Hausärzt:in galten Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin, hausärztliche praktische Ärzt:innen ohne Facharztweiterbildung und Fachärzt:innen für hausärztliche innere Medizin. Alle anderen Arztgruppen wurden Fachärzt:innen zugeordnet. Die Prüfung und Aufbereitung der Daten erfolgte in SAS, Version 9.4 (SAS Institute Inc., Cary, NC, USA).
Statistische Analysen
Zur Analyse des Zusammenhangs zwischen Einflussfaktoren und der Häufigkeit der Influenzaimpfungen im Zeitraum 2012–2018 wurde ein multiples negativ-binomiales Regressionsmodell angewendet. Aufgrund der linksschiefen Verteilung der Anzahl der Influenzaimpfungen wurde das Outcome für diese Analyse invertiert. Die so berechneten Regressionskoeffizienten wurden schließlich erneut invertiert, um die Rate Ratios (RR) und dazugehörigen Konfidenzintervalle (KI) entsprechend der ursprünglichen Polung des Outcomes interpretieren zu können. Zur Überprüfung der Annahme, dass mit steigender PflS auch die Anzahl an Influenzaimpfungen steigt, ging die PflS als 4‑stufiger kategorialer Prädiktor mit Backward Difference Coding in das Regressionsmodell ein. Der Effekt der PflS kann so mit 3 Kontrasten beschrieben werden, die jeweils 2 aufeinanderfolgende PflS miteinander vergleichen (PflS 1 (inkl. PflS 0) vs. keine PflS, PflS 2 vs. PflS 1, PflS 3 (inkl. Härtefälle) vs. PflS 2). Vor dem Hintergrund, dass der Effekt der PflS, je nachdem ob eine versicherte Person im Pflegeheim lebte oder nicht, unterschiedlich ausfallen könnte, wurde das Modell in einem zweiten Schritt um die Interaktion von Pflegeheim und PflS erweitert. Es zeigte sich, dass sich der Effekt der PflS auf die Zahl der Impfungen zwischen Pflegeheim- und Nicht-Pflegeheimbewohner:innen nicht statistisch signifikant unterscheidet (p ≥ 0,380 für alle Interaktionskontraste). Daher wird aus Gründen der Sparsamkeit das Modell ohne Interaktion berichtet. Die Analysen erfolgten in R, Version 4.1.2 (The R Foundation for Statistical Computing).