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Viszeral- und Allgemeinchirurgie
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Publiziert am: 24.04.2024

Hereditäre Formen des Kolonkarzinoms und Präkanzerosen

Verfasst von: Marc Boucher, Gloria Zaffaroni und Gabriela Möslein
Hereditäre (erbliche) KRK mit einer monogenetischen Ätiologie sind von den familiären Formen zu unterscheiden. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit spezifischen hereditären Syndromen und deren Präventions- und Therapiemöglichkeiten. Die Inzidenz der erblichen Dispositionen wird weit unterschätzt und meist erst bei Auftreten eines Karzinoms identifiziert. Das Identifikationspotenzial durch eine zunehmende genetische Testung von Tumoren aus therapeutischen Gründen liegt auf der Hand, wird aber klinisch viel zu wenig genutzt. Zu den wichtigsten Syndromen mit erhöhtem Darmkrebsrisiko gehören das Lynch-Syndrom, die FAP, aFAP, die MAP und das PJS. Auch seltenere Polyposissyndrome (Polymerase-Proofreading Polyposis [P-PAP], juvenile Polyposis [JP9] sowie NTL1 [NAP]), die zunehmend identifiziert werden, sind hier berücksichtigt. Das größte Problem für Familien ist die fehlende Implementierung einer systematischen Tumortestung und somit die Unteridentifikation der Hochrisikopopulation.

Einleitung

Bis zu 30 % aller kolorektalen Karzinome (KRK) sind erblich. Während der Großteil aller erblichen KRK bei Individuen mit betroffenen Verwandten ohne nachgewiesene Keimbahnmutationen auftreten, liegen bei ca. 10 % aller KRK-Patienten Keimbahnmutationen vor, die das Risiko an einem KRK zu erkranken deutlich bzw., bei voller Penetranz, auf ca. 100 % erhöhen (obligate Präkanzerose). Die heute bereits gut charakterisierten genetischen KRK-Syndrome lassen sich klinisch in Polyposis und Nonpolyposissyndrome einteilen. Das mit Abstand häufigste hereditäre Dispositionssyndrom für KRK ist das Lynch-Syndrom, welches auf Keimbahnmutationen in den DNA-Mismatch-Reparaturgenen beruht und zu KRK mit charakteristischen klinischen und pathologischen Merkmalen führt. Während die Diagnosestellung zu dem historisch – in Abgrenzung zu den Polyposissyndromen – auch „hereditary non-polyposis colorectal cancer“ (HNPCC) genanntem Lynch-Syndrom hauptsächlich auf familienanamnestischen Kriterien (Amsterdam-I- und -II-Kriterien) beruhte (Vasen et al. 1991, 1999), wird heutzutage die kostengünstige und effiziente immunhistochemische Färbung der Mismatch-Repairproteine im Tumorgewebe als wirkungsvolles Screeninginstrument zur Erkennung von Mismatch-Reparatur(MMR)-defizienten (instabilen) Tumoren angewendet. Darüber hinaus ist der Nachweis von Mismatch-Reparaturgen-Defekten in KRK mittels immunhistochemischem Screening im UICC-Stadium II prognose- und therapieentscheidend, wenngleich nur ein altersabhängiger Anteil hiervon tatsächlich auf einem Lynch-Syndrom beruht. Grundlage für die Diagnose eines Lynch-Syndroms ist dabei der Nachweis einer krankheitsverursachenden Keimbahnmutation in einem der MMR-Gene (MLH1, MSH2, MSH6 oder PMS2). Allein der Nachweis einer Mikrosatelliteninstabilität im Tumor ist nicht ausreichend, um diese Diagnose zu stellen, zumal der größte Anteil dieser Patienten eine nichthereditäre Genese aufweist (Gelsomino et al. 2016).
Im Gegensatz zu diesem „Nonpolyposissyndrom“ gehören die Karzinome der Polyposissyndrome, die zu 30 % sporadisch, also als Neumutation auftreten, nicht zu den instabilen Tumoren mit einer raschen Progression, sondern verhalten sich in dem zeitlichen und genetischen Ablauf wie die sporadischen Karzinome. Patienten mit familiärer adenomatöser Polyposis (FAP) entwickeln durchschnittlich 10 Jahre vor einer Karzinomdiagnose zahlreiche, bis zu Hunderte oder Tausende, (kleine) Adenomen im gesamten Kolorektum, die abhängig von Ihrer Anzahl und Lokalisation zu Stuhlunregelmäßigkeiten, Blutungen und Schmerzen führen können. Hier ist die ärztliche Wachsamkeit gefordert und das Bewusstsein dafür, dass auch ohne eine positive FamilienanamnesePolyposissyndrome und auch sporadische, immer jüngere Menschen betreffende Karzinomdiagnosen aufweisen (Esplin und Snyder 2014).
Grundsätzlich sollte bei allen KRK-Patienten eine systematische Tumordiagnostik sowohl aus diagnostischen als auch aus therapeutischen Gesichtspunkten erfolgen. In Anbetracht der hohen Rate unerkannter, therapie- und prognoserelevanter Keimbahnmutationen wäre bei allen Patienten < 50 Jahren die Gen-Panel-Untersuchung indiziert und zwar unabhängig von einer positiven Familienanamnese oder den bekannten triggernden klinischen Kriterien. Auch ohne genetischen Nachweis eines zugrunde liegenden hereditären Syndroms, ist abhängig von Polypenanzahl, -größe und -verteilung sowie histologischem Ergebnis ggf. eine rein prophylaktische Operation, oder bei oder bei „auffälliger“ Karzinomdiagnose ggf. eine prophylaktisch erweiterte onkologische Resektion indiziert. Zunehmend sollte (in Anbetracht der reduzierten Kosten und des zeitlich verkürzten Ablaufs einer Tumor- oder Keimbahndiagnostik) die Einbeziehung genetischer Untersuchungen als Grundlage für therapeutische Empfehlungen präoperativ eingefordert werden. Als sekundärer Benefit sind bei Identifikation einer relevanten Mutation die prädiktiven Optionen für Familienangehörige zu berücksichtigen (Ballester et al. 2016).

Familiärer Darmkrebs

Etwa 30 % aller Fälle von kolorektalen Karzinomen können auf familiäre niedrig-penetrante genetische Dispositionen zurückgeführt werden (Lichtenstein et al. 2000). Erstgradige Verwandte von Patienten mit einem „sporadischen“ kolorektalen Karzinom haben ein etwa 2,5-fach erhöhtes Risiko, selbst daran zu erkranken (Johns und Houlston 2001). Heute lassen sich bereits in ca. 10–12 % aller (altersunabhängigen und unselektionierten) kolorektalen Karzinome mittels „Panel-Diagnostik“ eindeutige, erbliche, krankheitsverursachende Genveränderungen einem spezifischen Gen zuordnen (Yurgelun et al. 2017). Dabei entstehen oft „Überraschungsbefunde“ auf Kandidatengenen, die nach heutiger Einschätzung eine andere Organprädilektion bewirken, sodass unser Verständnis für die klinische Ausprägung niedrigpenetranter Gene neu definiert werden muss!
Zusätzlich nimmt man an, dass Genpolymorphismen in relevanten Dispositionsgenen in Kombination mit exogenen Modifikatoren zur Entstehung der „familiären“ (polygenetischen) kolorektalen Karzinome führen. Daraus ergibt sich, dass das Kollektiv von Betroffenen mit einer nichtdefinierbaren hereditären KRK-Prädisposition relativ inhomogen ist, auch im Hinblick auf klinische Manifestationen und Vorsorgeempfehlungen. Die Bezeichnung „familiäres kolorektales Karzinom Typ X“ für Individuen, die die Amsterdam-Kriterien (Kriterien zur klinischen Diagnose eines hereditären nonpolypösen kolorektalen Karzinoms, HNPCC) erfüllen, aber mikrosatellitenstabil sind, bringt dies zum Ausdruck. Es ist davon auszugehen, dass mittels Multi-Gen-Panel-Diagnostik künftig weitere hereditäre Karzinomsyndrome beschrieben werden und damit der Anteil an familiärem Darmkrebs, der nicht einem Karzinomsyndrom zugeordnet werden kann, sinkt. Die Erhebung der Familienanamnese ist klinisch nach wie vor empfehlenswert, aber wesentlich zielführender ist die systematische Tumordiagnostik mittels immunhistochemischer Färbungen, welche die Identifikation der Lynch-Syndrom-Patienten deutlich verbessern wird. Noch besser allerdings wäre die unmittelbare Gen-Panel-Tumordiagnostik, bei der diese Information simultan gelingt, aber ein wesentlich höherer Informationsgehalt mit Therapierelevanz generiert wird.
Zu beachten ist die exponentiell wachsende Anzahl vor allem junger KRK-Patienten, die nur teilweise hereditär sind. Dieses Phänomen muss in das Bewusstsein der Viszeralchirurgen rücken und auf jeden Fall eine genetische Untersuchung bei allen Patienten, die unter dem Diagnosealter von 50 Jahren diagnostiziert werden, angestrebt werden. Je jünger die Patienten, desto höher der Anteil mit einer erblichen Disposition, so ist in der Altersgruppe der unter 30-jährigen Erkrankten der Anteil mit einer deletären Keimbahnmutation beispielsweise bei ca. 20–30 % anzusiedeln. Wie hoch das metachrone kolorektale Karzinomrisiko für die sporadischen Patienten, die jung erkranken, ist, ist bislang nicht bekannt. Allerdings wird heute keine Erweiterung des onkologischen Eingriffs bei mikrosatellitenstabilen Tumoren (ohne Nachweis einer Keimbahnmutation) empfohlen, auch wenn die Patienten unter 50 Jahren an ihrem ersten KRK erkranken. Aufgrund des fehlenden klinischen Erfahrungsschatzes mit nichtdefinierten hereditären Karzinomprädispositionen orientieren sich die Empfehlungen zur Nachsorge bzw. zur Vorsorge potenziell betroffener Familienangehöriger am Erkrankungsalter der erstgradig verwandten Betroffenen. In der deutschen S3-Leitlinie wird daher für erstgradige Verwandte von Patienten mit einem kolorektalen Karzinom eine erstmalige komplette Koloskopie in einem Alter, das 10 Jahre vor dem Auftreten des ersten Karzinoms beim Indexpatienten liegt, empfohlen.

Polyposissyndrome

Einleitung

Abhängig vom Phänotyp werden Patienten mit einer hereditären kolorektalen Karzinomdisposition traditionell den Polyposis- und den Nonpolyposissyndromen zugeordnet. Seit der Entdeckung der werden die Syndrome zudem phänotypisch in mikrosatellitenstabile (MSS) und -instabile (MSI) Entitäten klassifiziert. Meistens lassen sich mikrosatellitenstabile Entitäten den Polyposissyndromen und mikrosatelliteninstabile Entitäten den Nonpolyposissyndromen zuordnen, wobei die Polymerase-Proofreading-assoziierte Polyposis (PPAP) als Ausnahme durch eine besonders hohe MSI als Ausdruck der hohen Mutagenität gekennzeichnet ist. Mittlerweile werden allerdings für beide Gruppen zunehmend Ausnahmen identifiziert. Kürzlich wurden aus 6 unabhängigen molekularen Klassifikationssystemen 4 Subtypen („consensus molecular subtypes“, CMS) charakterisiert, die sich im Hinblick auf molekulare Eigenschaften und Prognose unterscheiden (Guinney et al. 2015). Wenngleich die bekannten hereditären Syndrome bei der Erarbeitung dieser Klassifikation bisher nicht gesondert betrachtet wurden, lassen sich diese in der Regel einem der Konsensussubtypen zuordnen. So lassen sich Lynch-Syndrom-assoziierte Karzinome dem CMS1-Typ und FAP-assoziierte Karzinome dem CMS2-Typ zuordnen. Die CMS-Klassifikation wurde von den Beschreibern als die aktuell robusteste bekannte Klassifikation kolorektaler Karzinome bezeichnet und soll zukünftig der Risikostratifizierung in klinischen Interventionsstudien dienen (Tab. 1).
Tab. 1
Molekulare Subtypen („onsensus molecular subtypes“, CMS1) des kolorektalen Karzinoms. (Mod. nach Guinney et al. 2015)
Abkürzung
Bezeichnung
Häufigkeit
Molekularbiologische und klinische Charakteristika
Zuordnung zu hereditären Syndromen
CMS1
Mikrosatelliteninstabil (MSI), immun
14 %
MSI, Immunsignalwegaktivierung/-Expression, rechtsseitige Tumoren, höheres Alter bei Diagnosestellung, weibliche Prädominanz, BRAF-Mutation, mittlere Prognose
CMS2
Klassisch („canonical“)
37 %
Epitheliale Signatur, Ausgeprägte WNT-/MYC-Signalwegaktivierung, mikrosatellitenstabil, linksseitige Tumoren, TP53-Mutation, EGFR-Amplifikation/Überexpression, gute Prognose
CMS3
Metabolisch
13 %
Metabolische Dysregulation, moderate WNT-/MYC-Signalwegaktivierung, KRAS-Mutation, PIK3CA-Mutation, IGFBP2-Überexpression, mittlere Prognose
 
CMS4
Mesenchymal
23 %
TGFP-β-Aktivierung, Stromainvasion und Angiogenese, jüngeres Alter bei Diagnosestellung, schlechte Prognose
 
Mixed
Gemischt
13 %
Charakteristika mehrerer Subtypen, möglicherweise intratumorale Heterogenität, Übergangsphänotyp
 

Adenomatöse Polyposissyndrome

(Klassische) Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP)

Klinisches Erscheinungsbild und Management
Die klassische familiäre Polyposis zeichnet sich in ihrem Vollbild entsprechend der klinischen Definition durch das Vorhandensein von über 100 kolorektalen Adenomen aus. Die Hälfte aller Betroffenen hat bereits im Alter von 15 Jahren Polypen, im Alter von 35 Jahren liegen sie bereits bei 95 % der Betroffenen vor. Unbehandelt erkranken Betroffene im Mittel im Alter von 39 Jahren an einem kolorektalen Karzinom. Eine Kontrolle der Polypen mit endoskopischer Entfernung ist vorübergehend unter bestimmten Kautelen vertretbar, um die definitive Operation hinauszuzögern. Die prophylaktische Proktokolektomie vor dem Auftreten eines Karzinoms ist bei der klassischen FAP die Therapie der Wahl und beinhaltet die operative Entfernung der gesamten Kolon- und Rektumschleimhaut. Seit den 1980er-Jahren wird dieser Eingriff mit einem kontinenzerhaltenden Ileumpouch als pouchoanale Anastomose rekonstruiert, sodass ein Kontinenzerhalt der Standard geworden ist. Der optimale Zeitpunkt der Operation ist sehr variabel und wird anhand der phänotypischen Ausprägung der Erkrankung sowie individueller Patientenfaktoren geplant. Nach der komplikationslosen Operation haben Betroffene in der Regel eine gute Lebensqualität bei erhaltener Kontinenz und allerdings vermehrter Stuhlfrequenz. Aufgrund des Risikos von Dysplasien bis hin zu Tumorrezidiven im Bereich einer belassenen Rektumschleimhaut (vor allem bei einer Double-staple-Anastomose, Abb. 1) sowie dem Risiko für lokale Entzündungen (Pouchitis) wird im Rahmen der Nachsorge nach der Operation zu jährlichen Pouchoskopien geraten. Auch sollte in Kenntnis des hohen Risikos einer späteren Neoplasie in dem Rektumstumpf durch Einführung neuer Anastomosetechniken (z. B. taTME (totale mesorektale Exzision) oder TTSS (totale transanale single staple)) und einer Single-staple-Anastomose ein Rektumrest nach Möglichkeit vermieden werden. Mit den oben genannten Techniken ist in der Hand des Erfahrenen keine Verschlechterung des funktionellen Ergebnisses oder der Kontinenz zu erwarten (Leonard et al. 2011; Spinelli et al. 2019; Veltcamp Helbach et al. 2019).
Neben der kolorektalen Manifestation, die im Vordergrund bei der FAP steht, treten bei Betroffenen häufig sog. extrakolonische Manifestationen auf. Diese reichen von harmlosen Veränderungen im Augenhintergrund (kongenitale Hyperplasie des retinalen Pigmentepithels, CHRPE) und Osteomen vor allem im Gesichtsschädelbereich über meist gutartige Drüsenkörperzysten des Magens bis hin zu als Präkanzerose zu wertenden Polypen des Duodenums sowie den meist papillären Schilddrüsenkarzinomen, Hepatoblastomen im Kindesalter und malignen Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS; meist Medulloblastomen). Darüber hinaus treten bei etwa 20–30 % aller Betroffenen lokal infiltrierende und destruierende, in der Regel intraabdominell im Dünndarmmesenterium liegende semimaligne Tumore mesenchymalen Ursprungs, sog. Desmoide (Abb. 2), auch als aggressive Fibromatose bezeichnet, auf. Risikofaktoren für die Entstehung sind Trauma (in der Regel hier der kolorektale prophylaktische Eingriff), positive Familienanamnese für Desmoide bzw. eine Mutation im APC-Gen jenseits des Codons 1444 und Östrogenexposition. Eine operative Therapie ist in der Regel aufgrund des hohen Rezidivrisikos bei neuerlichem chirurgischem Trauma nur selten sinnvoll bzw. in Notfallsituationen selten erforderlich und unvermeidbar. Unsere Arbeitsgruppe konnte im Rahmen einer langjährigen Beobachtungsstudie nachweisen, dass eine Kombination aus einem nichtsteroidalen Antiphlogistikum (Sulindac) und einem hochdosierten Antiöstrogen (Tamoxifen, Raloxifen oder Toremifen) in 85 % der Fälle zu einer Wachstumsstabilisierung bzw. Regression führte (Quast et al. 2016).
Aufgrund des infolge der Mutation lebenslang deutlich erhöhten Risikos für neoplastische Veränderungen an multiplen Organen sollten sich Betroffene regelmäßigen Vor- bzw. Nachsorgeuntersuchungen in erfahrenen Zentren unterziehen. Diese umfassen neben der körperlichen Untersuchung eine Koloskopie bzw. Rekto- oder Pouchoskopie nach erfolgter prophylaktischer Operation, alters- und befundabhängigen Ösophagogastroduodenoskopien mit Inspektion der Papille sowie jährliche Sonografien des Abdomens und der Schilddrüse. Da die KRK nur selten vor der zweiten Lebensdekade auftreten wird – auch hier wieder abhängig von der Familienanamnese – zu einem Beginn der Vorsorge bei der klassischen FAP, beginnend im Alter von 10–12 Jahren, geraten. Sollte im Rahmen einer vorhersagenden Testung das Vorhandensein der krankheitsauslösenden Mutation in 2 unabhängigen genetischen Untersuchungen ausgeschlossen werden, so ist bezüglich einer FAP von dem üblichen extrem geringen Erkrankungsrisiko auszugehen und es kann auf eine intensivierte Vorsorge verzichtet werden. Aufgrund der typischerweise linksseitigen Prädominanz der klassischen FAP sind bis zum Auftreten erster Polypen die für Patient und Untersucher mit geringerem Aufwand durchführbaren Sigmoidoskopien ausreichend und sollten bei Nachweis einer Polypenprogression in diesem Segment durch komplette Koloskopien ersetzt werden. Stuhltests auf okkultes Blut oder virtuelle Koloskopieverfahren haben aktuell in der Vor- und Nachsorge der FAP keinen Stellenwert (Vasen et al. 2008).
Therapeutisches Grundprinzip ist die Proktokolektomie – wegen der linksseitigen Prädominanz der Polypenbildung ist die Therapie der Wahl die kontinenzerhaltende ileoanale Pouchanlage. Ein Belassen des Rektums ist nur selten eine sinnvolle Option, zumal in Zentren die funktionellen Ergebnisse exzellent sind. Auch wenn in dem Alter der Operation erst wenige Polypen im eigentlichen Rektum vorliegen, werden diese im Laufe der nächsten Jahre oft deutlich progredient, sodass eine sekundäre Pouchanlage beispielsweise nach einer initialen Kolektomie mit ileorektaler Anastomose in aller Regel erforderlich wird. Hierdurch steigt das Risiko für die Ausbildung von Desmoiden. Hierbei handelt es sich um semimaligne Tumoren, die vor allem in dem Mesenterium des Dünndarmes entstehen und der wichtigste lebensqualitätsreduzierender Faktor für FAP-Patienten darstellt. Die Tumoren werden durch Traumata (also in diesem Fall ein chirurgisches Trauma) zum Wachstum getriggert. Aus diesem Grund gilt es, eine definitive chirurgische Therapie durch ileoanale Pouchanlage anzustreben und auch falls technisch vertretbar auf die protektive Ileostomie zu verzichten.
Genetik
Das krankheitsauslösende Adenomatous-Polyposis-coli(APC)-Gen auf dem Chromosom 5q21 kodiert für ein Tumorsuppressorgen, welches im Wnt-Signalweg an der Degradation von β-Catenin beteiligt ist. Liegt eine Mutation in diesem Gen vor, kommt es zu Akkumulation von β-Catenin im Zytoplasma der Zelle, welches nach seinem Transport in den Zellkern als Teil eines Proteinkomplexes als Transkriptionsfaktor für proliferative Gene wirkt. Abhängig von der Lokalisation der Mutation des aus 2843 Aminosäuren bestehenden Proteins kommt es zu mehr oder minder schweren Ausprägung der Erkrankung. Die FAP folgt einem autosomal-dominanten Vererbungsmuster. Kinder von Betroffenen haben daher ein 50 %iges Risiko, selbst Mutationsträger zu sein. Die S3-Leitlinie KRK empfiehlt daher eine Mutationsanalyse der Risikoperson ab dem 10. Lebensjahr nach einer genetischen Beratung der Familie (Nieuwenhuis und Vasen 2007).

Attenuierte FAP (aFAP)

Klinisches Erscheinungsbild und Management
Eine leichtere Ausprägung der FAP, welche im Vergleich mit dem klassischen Counterpart der Erkrankung im höheren Alter von ca. 35–40 Jahren auftritt, einer deutlich reduzierten Anzahl an kolorektalen Polypen (10–100) sowie einer rechtsseitigen Prädominanz einhergeht, wird angesichts der „abgeschwächten“ Ausprägung attenuierte FAP (aFAP) genannt. Ebenso wie die klassische FAP beruht die aFAP auf einer Mutation des APC-Gens, allerdings findet sich hier die Mutation in Randbereichen des Gens. Extrakolonische Manifestationen sind ebenso möglich, auch sind die Polypen bei der aFAP als obligate Präkanzerosen zu werten, weswegen Vorsorgeuntersuchungen ähnlich konsequent wie bei der klassischen FAP empfohlen werden. Da Polypen hier nicht nur seltener, sondern auch später auftreten kann mit den Vorsorgeendoskopien in einem späteren Alter begonnen werden, allerdings sollten aufgrund der rechtsseitigen Prädominanz der aFAP von Beginn an komplette Koloskopien durchgeführt werden. Da bei der aFAP rektale Polypen selten sind, kann hier zugunsten eines Funktionserhalts häufig auf eine totale Proktokolektomie verzichtet und stattdessen eine Kolektomie mit ileorektaler Anastomose durchgeführt werden. Heute bevorzugen wir das Belassen des Sigmas zu Gunsten eines besseren funktionellen Ergebnisses. Anstelle von durchschnittlich 3–5 Stuhlgängen/24 h liegt die Frequenz durchschnittlich bei 2–3 Stuhlgängen/24 h (Knudsen et al. 2003).
Genetik
Hierzu wird auf Abschn. 3.2.1.2 und Abb. 3 verwiesen (Half et al. 2009)
Ergänzend sei angemerkt, dass es eine Korrelation zwischen der genauen Lokalisation der genetischen Mutation in dem APC-Gen und dem klinischen Erscheinungsbild besteht. So führen Mutationen jenseits des Codons 1444 vermehrt zu der Entstehung von Desmoiden. Eine Mutation in Codon 1309 führt meist zu einem früheren Auftreten der Polypenmanifestation und zu einem schwereren klinischen Verlauf bereits im Kindes- oder Teenageralter. Allerdings leitet die Kenntnis der genauen Lokalisation einer APC-Mutation nicht das klinische Vorgehen, denn dieses wird durch die individuelle Krankheitsmanifestation geprägt. Grund hierfür ist die intrafamiliäre Heterogenität, die bei ein- und der gleichen Mutation oft vorliegt und wegweisend dafür ist, dass auch bei einer bestimmten Mutation genetische und exogene Faktoren den im APC-Gen kodierten Phänotyp modifizieren können (Knudsen et al. 2003; Half et al. 2009).

MUTYH-assoziierte Polyposis (MAP)

Klinisches Erscheinungsbild und Management
Die MAP ist durch das Auftreten einer Vielzahl von Polypen des Dickdarms gekennzeichnet (histologisch größtenteils, aber nicht ausschließlich Adenome). Klinisch ist das Erscheinungsbild nicht von einer aFAP zu unterscheiden. Wie bei der FAP entwickelt sich aus den Polypen unbehandelt früher oder später mit großer Wahrscheinlichkeit ein KRK. Auch hier ist der Verlauf auch innerhalb einer Familie variabel, in Einzelfällen kann der Darmkrebs deshalb relativ früh entstehen, auch wenn die Anzahl der Polypen gering ist.
Das mittlere Alter bei Diagnosestellung liegt bei 45 Jahren, allerdings liegt bei der Hälfte der Betroffenen bei Diagnosestellung bereits ein KRK vor. Extrakolonische Manifestationen wie Duodenal- und Magenpolypen kommen ebenso vor. Die Empfehlungen für die Vorsorgeuntersuchungen ebenso wie für die Therapie orientieren sich an den Empfehlungen für die aFAP. Allerdings kommt es durchaus bei einer MAP vor, dass zahlreiche Polypen und auch Karzinome im Rektum bei einigen wenigen Betroffenen beobachtet wurden. In Einzelfällen sollte bei dieser phänotypischen Ausprägung die Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage in Erwägung gezogen werden.
Adenome im Zwölffingerdarm (Duodenum) treten seltener als bei der FAP auf, in Einzelfällen sind allerdings auch hier schwerere Verläufe beschrieben. Krankheitssymptome außerhalb des Magen- und Darmtraktes scheinen nach dem heutigen Wissen im Gegensatz zur FAP selten vorzukommen (Syngal et al. 2015; Sampson und Jones 2009).
Genetik der MUTYH-assoziierten Polyposis
Die MUTYH-assoziierte Polyposis (kurz MAP) ist eine adenomatöse Polyposis, deren genetische Ursache erst im Jahr 2002 identifiziert wurde. Bei gut 10 % der Patienten, die klinisch eine aFAP aufweisen, liegt eine Mutation beider Allele des MutYH-Gens auf dem Chromosom 1p35 vor. Bei einem Ausfall der von dem Gen kodierten mutY-DNA Glykosylase, die als Bestandteil des Basenexzisionsreparatursystems eine Rolle in der DNA-Reparatur spielt, kommt es zur Anhäufung von somatischen Mutationen in anderen Genen, darunter auch APC. Die resultierende Erkrankung wird entsprechend MUTYH-assoziierte FAP (MAP) genannt und ist die erste beschriebene Polyposis, die einem autosomal-rezessiven Erbgang folgt. Beide Eltern dieser betroffenen Personen tragen das mutierte Gen nur auf einer Genkopie, die andere Genkopie ist unverändert und neutralisiert die Mutation. Die Eltern sie sind daher nicht erkennbar erkrankt (Familienanamnese), aber sog. heterozygote Anlageträger. Die Geschwister einer erkrankten Person haben ein Risiko von 25 %, ebenfalls zu erkranken.
Da die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer heterozygoten Mutation im MUTYH-Gen in der Allgemeinbevölkerung mit vermutlich 1–2 % niedrig ist, ist das Risiko für das Auftreten einer MAP bei den Kindern nicht miteinander verwandter Eltern ebenfalls niedrig (formalgenetisch vermutlich 0,5–1 %). Typischerweise treten autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen daher nur in einer Generation innerhalb einer Familie auf (Syngal et al. 2015; Sampson und Jones 2009).

Multiple Adenoma Syndrome (Oligopolyposis)

Klinisches Erscheinungsbild und Management
Bei Betroffenen liegen typischerweise bereits kumulativ im jungen bis mittleren Erwachsenenalter bis zu 100 Polypen, meist Adenome (oder auch Karzinome) vor, ohne dass sich in der genetischen Diagnostik oder in der Familienanamnese aussagekräftige Befunde ergäben. Extrakolonische Manifestationen liegen typischerweise nicht vor.
Einerseits wird angenommen, dass es sich hierbei um seltene Extreme einer „normalen“ Karzinomprädisposition handeln könnte. Generell sollte eine Anzahl von kumulativ 10 und mehr „Polypen“ im Kolorektum bis zu einem Lebensalter von 60 Jahren die Gastroenterologen an eine genetische Disposition denken lassen. Wichtig hierbei erscheint ist die Einleitung einer genetischen (Gen-Panel-)Diagnostik, zumal die Verfügbarkeit rasch zunimmt und die Kosten von den Kostenträgern übernommen werden sollten. Die zunehmende Teststrategie hat schon heute dazu geführt, dass nicht selten eine unerwartete Keimbahnmutation aus einem großen Panel (unser aktueller Standard = 84 Gene) identifiziert wird. Hierdurch ist eine präzisere Risikoeinschätzung für Betroffene möglich und der Mutationsnachweis eröffnet die Möglichkeit einer prädiktiven Diagnostik für die Familienangehörigen.
Hier erläutern wir das Vorgehen für Oligopolyposispatienten, bei denen eine genetische Testung (noch) nicht durchgeführt oder eine verursachende Mutation im Gen-Panel nicht gefunden wurde. Im Anschluss werden seltene Polyposissyndrome aufgeführt, die zunehmend aus diesem Kollektiv kommend entsprechend zugeordnet werden können.
Patienten mit nachgewiesenen (multiplen) Polypen ist eine engmaschigere Vorsorge zu empfehlen, da das Karzinomrisiko völlig unabhängig von einer nachgewiesenen genetischen Disposition deutlich erhöht ist. Es erfolgt ein endoskopisches Polypenmanagement mit regelmäßigen konsequenten Polypektomien. Erst wenn die Progression an Zahl und Größe deutlich zunimmt, wäre die Option einer prophylaktischen Kolonresektion zu diskutieren
Neben der Identifikation von Patienten aus diesem Kollektiv mit einer zugrunde liegenden Mutation im APC-Gen oder homozygote im MUTYH-Gen, werden in einigen Fällen die im Folgenden abgehandelten (sehr) seltenen Polyposissyndrome nachgewiesen.
Genetik des Multiple Adenoma Syndrome (Oligopolyposis)
Als Oligopoliposis bezeichnen wir Polyposispatienten mit > 10 kumulativen Polypen im Kolorektum bis zu einem Alter von 60 Jahren , bei denen eine genetische Ursache auch in einem entsprechenden Gen-Panel nicht identifiziert werden kann.

Polymerase-Proofreading-assoziierte Polyposis (PPAP, Synonym: POLE/POLD1-assoziierte Polyposis)

Klinisches Erscheinungsbild und Management
Die Polymerase-Proofreading assoziierte Polyposis wurde 2013 durch Untersuchungen an mehreren Polyposis- bzw. Darmkrebsfamilien charakterisiert. Interessant ist, dass es eine hohe Variabilität hinsichtlich der klinischen Ausprägung der Erkrankung bei Betroffenen gibt und dass es neben dem klinischen Erscheinungsbild, welches einer aFAP ähnelt, auch Lynch-Syndrom-ähnliche Manifestationen beschrieben sind. Als einziges Polyposissyndrom kann hier eine hohe Mikrosatelliteninstabilität in den Neoplasien nachgewiesen werden.
Bei den bisher identifizierten Familien mit einer PPAP zeigte sich eine starke Variabilität des Krankheitsverlaufs im Hinblick auf die Anzahl der Polypen, das Erkrankungsalter und das Risiko für Darmkrebs. Die PPAP ist durch das Auftreten von einigen (≥ 5) bis vielen Polypen (Adenomen) und einer Häufung von Dickdarmkrebs mit meist jungem Erkrankungsalter (≤ 40 Jahre) charakterisiert; sie ist somit vergleichbar mit einer milden familiären adenomatösen Polyposis (aFAP) oder einer MUTYH-assoziierten Polyposis (MAP). In einigen Fällen kann sie aber auch dem erblichen Darmkrebs ohne Polyposis (HNPCC/Lynch-Syndrom) ähneln.
In der Zwischenzeit identifizierten auch andere Arbeitsgruppen weitere Patienten mit Mutationen in den Genen POLD1 und POLE. In einer Studie (Spier et al. 2015) konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit POLE-Mutation häufig Adenome im Zwölffingerdarm (Duodenum) bestehen. Es fand sich auch ein Patient mit einem Duodenalkarzinom. Außerdem wurden bei einzelnen Patienten verschiedene gut- und bösartige Tumoren außerhalb des Magen-Darm-Traktes gefunden. Insbesondere bei Patientinnen mit POLD1-Mutation scheint ein erhöhtes Risiko für Gebärmutterschleimhautkrebs (Endometriumkarzinom) zu bestehen. Außerdem sind sowohl bei POLD1- und POLE-Mutationsträgern Hirntumoren beschrieben worden. Ob diese Tumoren auch ursächlich in Zusammenhang mit der POLD1- oder POLE-Mutation stehen und damit auf ein breiteres Tumorspektrum der PPAP hinweisen, kann erst durch zukünftige Studien mit größeren Patientenzahlen festgestellt werden.
Die Mutationssuche in einer Familie sollte immer bei einer bereits sicher erkrankten Person erfolgen. Ist die Mutation identifiziert, können andere Risikopersonen der Familie (prädiktiv) auf diese Mutation getestet werden.
Genetik
In einer wissenschaftlichen Veröffentlichung aus dem Jahr 2013 (Palles et al. 2013) konnten in mehreren Familien mit einer kolorektalen adenomatösen Polyposis genetische Veränderungen (Mutationen) in den Erbanlagen POLE und POLD1 als seltene Ursache für das familiär gehäufte Auftreten von mehreren Adenomen und Dickdarmkrebserkrankungen identifiziert werden. Weitere Publikationen konnten Mutationen in den zentralen Domänen der Fehlerkorrekturpolymerasen POLE und POLD1 als sehr seltene Ursache für ein gehäuftes Auftreten von mehreren Adenomen und KRK identifizieren. Die PPAP wird autosomal-dominant vererbt (Valle et al. 2019).

NTHL1

Klinisches Erscheinungsbild und Management
NTHL1-assoziierte Polyposis (NAP) verursacht eine kolorektale Polyposis und ist charakterisiert durch ein erhöhtes Risiko für KRK und Mammakarzinom. Die Polypen können histologisch Adenome, hyperplastische oder serratierte Polypen darstellen. Eine duodenale Polyposis wurde ebenfalls berichtet. Weitere Fallpublikationen weisen auf eine Häufung von Endometriumkarzinomen, Blasen- und Urothelkarzinomen, Hirntumoren sowie Basalzell- und Spindelzellkarzinomen hin. Das kumulative Lebenszeitrisiko, ein extrakolonisches Karzinom bis zum 60. Lebensjahr zu entwickeln, wird mit 35–78 % angegeben. Die Inzidenz ist ca. 5-mal niedriger als bei einer MAP (Weren et al. 2015, 2018).
Genetik
Das NTHL1-Syndrom wird autosomal-rezessiv vererbt. Die Genveränderung ist in die heute gängigen Polyposis-Panel integriert, sodass mit einer zunehmenden Identifikation von Mutationsträgern und einem entsprechend besseren Verständnis für die klinischen Manifestationen in Kürze gerechnet werden kann (Tab. 2).
Tab. 2
Phänotypische Expression bei einer nachgewiesenen NTHL1-Mutation (Grolleman et al. 2019)
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aSEER.Daten Zeitraum 2010–2014. bNiederländische Krebsregisterdaten, Zeitraum 2010–2016, Daten der Süd-Niederlande. cNiederländische Krebsregisterdaten, Daten von Gesamtniederlanden. NA „nicht anwendbar für geschlechtsspezifische Malignome“

Nichtadenomatöse Polyposissyndrome

Peutz-Jeghers-Syndrom (PJS)

Klinisches Erscheinungsbild und Managment
Die klinische Manifestation beim Peutz-Jeghers-Syndrom besteht neben den für die Krankheit charakteristischen, an Haut und Schleimhäuten vor allem des Gesichts, aber auch Händen und Füßen, auftretenden Pigmentflecken in einer typischen intestinalen Polyposis (Abb. 4). Diese tritt vor allem im Dünndarm auf und wird bei der Hälfte der Betroffenen bis zum 20. Lebensjahr klinisch apparent. Die sog. Peutz-Jeghers-Polypen sind Hamartome und in der Regel keine Präkanzerosen. Bei über 50 % der Betroffenen kommt es unbehandelt bereits bis zum 20. Lebensjahr symptomatisch zu apparenten oder okkulten Blutungen und Intussuszeptionen. Die durch größere Polypen verursachten Intussuszeptionen, die zu einer akuten Obstruktion oder Ischämie führen können, sind eine häufige Ursache für ein späteres Kurzdarmsyndrom mit erheblicher Morbidität und auch Mortalität. Aus diesem Grund gilt es eine konsequente Vorsorge mit Polypabtragungen ab einer Größe von ca. 1,5 cm durchzuführen.
Die mit der Erkrankung assoziierten malignen Tumoren, die in einem höheren Lebensalter auftreten, können im gesamten Magen-Darm-Trakt auftreten. Lokalisationen im Kolon und Magen sowie im Pankreas sind am häufigsten. Außerdem besteht ein erhöhtes Lebenszeitrisiko für Tumoren der Brust (30–60 % der betroffenen Frauen), der Lunge, der Ovarien, des Endometriums, der Zervix und der Hoden.
Die empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen orientieren sich an den zu erwartenden Tumorentitäten sowie am Alter der Patienten. Dünndarmpolypen sollten ab einer Größe von 1–1,5 cm endoskopisch reseziert werden, um mechanischen Komplikationen oder Blutungen vorzubeugen. Alternativ kommt, sofern die endoskopische Resektion aus bestimmten Gründen nicht möglich ist, die sparsame chirurgische Resektion infrage. Ziel sollte immer sein, Notfalloperationen mit ihrem erhöhten perioperativen Risiko zu vermeiden. Demgegenüber spielen – zumindest im Magen-Darm-Bereich – onkologisch-prophylaktische Resektionen nur eine untergeordnete Rolle (Zhang et al. 2020; McGarrity und Amos 2006).
Genetik
Ursache der Erkrankung sind Mutationen von STK11 („Serine/Threonine kinase 11“), bekannt auch unter LKB1 („liver kinase B1“). Dessen Genprodukt wirkt bei Gesunden als Tumorsuppressorgen. Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt (Zhang et al. 2020).

Familiäres juveniles Polyposissyndrom (JPS)

Klinisches Erscheinungsbild und Management
Patienten mit einer juvenilen Polyposis entwickeln multiple, überwiegend im Kolon lokalisierte hamartomatöse Polypen. Dabei handelt es sich um hamartomatöse gastrointestinale Polypen, die oberflächliche entzündliche Schleimhautveränderungen tragen. Solitäre juvenile Polypen können auch bei gesunden Kindern auftreten und gelten grundsätzlich als gutartig.
Klinisch macht sich die Erkrankung ähnlich wie das PJS durch polypenbedingte Komplikationen wie Blutungsanämie, Bauchschmerzen, Diarrhöen oder Intussuszeption bemerkbar. Unbehandelt besteht bei Betroffenen ein hohes Lebenszeitrisiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. Zusätzlich besteht ein erhöhtes Risiko für Magen-, Dünndarm- und Pankreaskarzinome, dies vor allem bei den SMAD4-Mutationen. Ebenso wie für das Kolorektum sind Indikationen zu einer rein prophylaktischen Resektion je nach phänotypischer Ausprägung in Betracht zu ziehen und gerechtfertigt. Betroffene sollten ab dem 15. Lebensjahr, je nach Ausprägung der Polypen in 1- bis 3-jährlichen Abständen Gastro- und Koloskopien erhalten, die befundabhängig intensiviert werden sollten (Brosens et al. 2011).
Genetik
Ursache dieses autosomal-dominant vererblichen Tumorsyndroms ist eine Mutation im SMAD4-, BMPR1A- oder ENG1-Gen, wobei es sich bei 25–50 % der betroffenen Patienten um Neumutationen handelt. Ähnlich der FAP liegt hier eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation vor, so ist eine Mutation im SMAD4-Gen häufig mit einer hereditären hämorrhagischen Teleangiektasie (auch M. Osler-Rendu-Weber genannt) vergesellschaftet (Aytac et al. 2015) (Abb. 5).

Nonpolyposissyndrome

Lynch-Syndrom und HNPCC hereditäres nichtpolypöses KRK)

Klinisches Erscheinungsbild und Management

Der Begriff hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom (HNPCC) wurde in den 1970er-Jahren als Abgrenzung zur FAP gewählt, um familiär gehäuft auftretenden Darmkrebs, der nicht auf einer Polyposis beruht, zu beschreiben Anfang der 1990er-Jahre wurden durch eine Expertengruppe die „Amsterdam-Kriterien“ beschrieben (Ahadova et al. 2018), die Familienkriterien definierten, bei denen ein hochgradiger Verdacht auf eine monogenetische Erkrankung vorlag, allerdings unter ausschließlicher Berücksichtigung des KRK (Vasen et al. 1999). In der Folge wurden in solchen Familien 1993 erstmals Längenveränderungen innerhalb kurzer, repetitiver DNA-Sequenzen in den Tumoren Betroffener festgestellt und das Phänomen der Mikrosatelliteninstabilität beschrieben. Mutationen in den sog. Mismatch(Basenfehlpaarungs)-Reparaturgenen MLH1, PMS2, MSH2 und MSH6 konnten als Verursacher dieses molekularen Phänotyps identifiziert werden.
Die Mikrosatelliteninstabilität im Tumor ist der phänotypische Ausdruck der gestörten Basenfehlpaarung, die zu somatischen Mutationen in zahlreichen Genen (darunter auch im Bereich der Mikrosatelliten) führt. Diese „Hypermutabilität“ führt zur Entstehung von zahlreichen Tumor-Neoantigenen was in einer vermehrten Immunantwort gegen mikrosatelliteninstabile Tumoren resultiert.
Mit der immunhistochemischen Anfärbung der Mismatch-Reparaturproteine existiert ein kostengünstiges und kurzfristig verfügbares Screeninginstrument für mikrosatelliteninstabile Tumoren. Dabei ist ein Expressionsausfall eines oder mehrerer Mismatch-Reparaturproteine nicht beweisend für eine Keimbahnmutation, sondern kann ebenso auf einer somatischen Mutation, des für das nicht nachweisbare Protein kodierenden Gens bzw. dessen Silencing infolge von Promotormethylierung beruhen. Insbesondere ein kombinierter Ausfall von MLH1 und PMS2 kann sowohl auf einer MLH1-Promotorhypermethylierung als auch auf eine Keimbahnmutation von MLH1 hindeuten. So kann eine BRAF-600E-Mutation zum Gen-Silencing durch Hypermethylierung des MLH1-Promoters führen. Daher sollte in dieser Konstellation zunächst eine BRAF-Mutation ausgeschlossen werden. Liegt eine BRAF-Mutation vor, so ist ein Lynch-Syndrom praktisch ausgeschlossen (Cerretelli et al. 2020).
Das Lynch-Syndrom (LS) ist durch ein erhöhtes Risiko vor allem für KRK und Endometriumkarzinom charakterisiert. Weitere gehäuft auftretende Karzinome sind Magen- Ovarial- Blasenkarzinome und Karzinome der ableitenden Harnwege, Hirntumoren (meist Glioblastome) sowie Hauttumoren (vor allem seborrhoische Adenome, Karzinome und Keratoakanthome) sowie Prostata- und Pankreaskarzinome. Das Karzinomrisiko unterscheidet sich je nach dem zugrunde liegenden Gendefekt.
Wesentliche klinische Charakteristika eines Lynch-Syndroms
  • Meist jüngeres Erkrankungsalter
  • Syn-/Metachrone Tumoren (und Polypen)
  • Familiäre Häufung (manchmal fehlend bei Neumutation)
  • Spezifisches Tumorspektrum (vor allem multiple KRK und/oder Endometrium)
  • Häufig muzinöse/siegelringzellige Adenokarzinome mit entzündlicher Infiltration
  • Tumoren weisen Mikrosatelliteninstabilität auf
Das durchschnittliche Erkrankungsalter für ein kolorektales Karzinom liegt bei 45 Jahren und ist damit deutlich geringer als beim sporadischen kolorektalen Karzinom, bei dem das Erkrankungsalter mit etwa 65 Jahren durchschnittlich 20 Jahre höher ist. Betroffene haben ein signifikant erhöhtes Risiko, an einem synchronen oder metachronen Karzinom zu erkranken. Im Gegensatz zum FAP-assoziierten KRK treten diese häufiger rechtsseitig auf, wobei Karzinome im gesamten Kolorektum auftreten können. Typischerweise folgen Lynch-assoziierte Karzinome nicht der klassischen „kanonischen“ Adenom-Karzinom-Sequenz, stattdessen wird, zumindest für einen Teil der Karzinome, eine Entartung ausgehend von sessilen-serratierten Adenomen über den alternativen „serratierten“ Karzinogeneseweg diskutiert. Dabei sind im Vergleich zur Adenom-Karzinom-Sequenz wahrscheinlich deutlich kürzere Intervalle bis zum Progress zum Karzinom möglich, sodass Karzinome trotz entsprechender endoskopischer Vorsorge regelmäßig auftreten. Erschwerend kommt hinzu, dass serratierte Adenome meist flach sind und daher nur schwer von gesunder Schleimhaut zu unterscheiden sind. Außerdem ähneln serratierte Adenome morphologisch den meist harmlosen hyperplastischen Polypen, was die endoskopische Diagnose zusätzlich erschwert. Die Koloskopie sollte bei Mutationsträgern ab dem 25. Lebensjahr bzw. 5 Jahre vor dem frühesten Erkrankungsalter in der Familie erfolgen. Bislang wurde bei Mutationsträgern eine Früherkennung mittels jährlicher Koloskopien empfohlen. Ein Vergleich verschiedener Untersuchungsintervalle anhand von Daten aus Deutschland, den Niederlanden sowie Finnland mit Intervallen zwischen jährlich (Deutschland) und alle 3 Jahre (Finnland) hat keinen Vorteil kürzerer Untersuchungsintervalle hinsichtlich Reduktion der KRK-Inzidenz oder früherer Tumorstadien bei Diagnosestellung ergeben (Engel et al. 2018). Allerdings erhielten in der Erhebung in Ländern mit einem längeren Untersuchungsintervall Hochrisikopatienten ebenso Koloskopien mit verkürztem Intervall. In der aktuellen Empfehlung des Deutschen Konsortiums familiärer Darmkrebs wird daher ein Vorsorgeintervall von 12–24 Monaten empfohlen.
Während bisher die Lebenszeitrisiken und Empfehlungen für die Vorsorge bei Patienten mit einem Lynch-Syndrom unabhängig von der krankheitsauslösenden Mutation kombiniert angegeben wurden, ist mittlerweile bekannt, dass unterschiedliche Krankheitsrisiken, abhängig von dem betroffenen Basenfehlpaarungsreparaturgen bestehen. Dies wird in Zukunft eine genauere, risikoadaptierte Vorsorgestrategie für Betroffene ermöglichen. Tab. 3 zeigt die relative kumulative Inzidenz der Lynch-assoziierten malignen Tumorerkrankung abhängig vom betroffenen MMR-Gen. Es hat sich gezeigt, dass Träger einer Mutation in MLH1 und MSH2 etwa 15 Jahre früher als Träger einer Mutation in MSH6 und PMS2 ein Karzinom entwickeln und insgesamt ein deutlich erhöhtes Tumorrisiko haben. Ebenso relevant für die Prognose und individualisierte Betreuung Betroffener ist das Geschlecht, da deutliche Unterschiede in den individuellen Risiken abhängig vom Geschlecht beobachtet werden. Anhand der vorhandenen Daten aus einem der größten Lynch-Register wurde ein webbasierter Risikokalkulator entwickelt, mit dem man das individuelle Risiko nach Gen und Geschlecht errechnen kann. Er kann unter www.lscarisk.org/ aufgerufen werden. Wir konsultieren regelmäßig bei der Patientenberatung diese Datenbank, die kontinuierlich basierend auf den international erhobenen prospektiven Daten aktualisiert wird.
Tab. 3
Relative kumulative Inzidenz für verschiedene Tumorerkrankungen im Alter von 75 Jahren, stratifiziert nach betroffenem MMR-Gen. (Mod. nach Møller et al. 2018)
Organ
Inzidenz in der Allgemein-bevölkerung (%)
Relative kumulative Inzidenz (95 %iges Konfidenzintervall)
MLH_1
MSH_2
MSH_6
PMS_2
Alle malignen Tumore
24,4
3,1 (2,8–3,4)
3,3 (2,9–3,7)
2,5 (1,7–3,2)
2,1 (0–4,1)
Duodenum
0,1
64,7 (27,4–102,1)
20,1 (0,6–39,6)
0
0
Endometrium
1,6
26,7 (20,7–32,7)
35,5 (26,1–44,8)
28,9 (17,1–40,6)
16,5 (0,5–32,4)
Kolon
2,1
22,3 (18,7–25,9)
20,2 (15,6–24,7)
6,8 (1,5–12,1)
0
Gallenwege und -blase
0,2
18,7 (6,3–31,1)
8,6 (0–25,4)
0
0
Ovarien
1,0
10,1 (4,8–15,4)
16,9 (5,7–28,0)
13,1 (0–31,2)
0
Ureter und Niere
1,3
3,5 (1,2–5,9)
13,7 (8,2–19,2)
2,3 (0–5,4)
0
Sigma und Rektum
1,4
8,4 (5,2–11,7)
13,0 (7,8–18,3)
3,3 (0–6,9)
0
Gehirn
0,5
1,9 (0–4,8)
10,5 (0,4–20,6)
2,9 (0–8,4)
0
Magen
0,8
8,9 (4,4–13,4)
9,7 (2,3–17,0)
6,6 (0–16,4)
0
Harnblase
1,0
4,1 (1,5–6,7)
8,1 (2,8–13,3)
8,2 (0–16,9)
0
Pankreas
0,8
7,8 (3,3–12,3)
0,6 (0–1,9)
1,8 (0–5,2)
0
Prostata
10
1,7 (0,9–2,7)
3,2 (1,2–5,1)
1,8 (0–4,4)
3,8 (0–9,6)
Brust
9,4
1,3 (0,7–1,8)
1,2 (0,5–2,0)
1,4 (0,2–2,6)
6,0 (0–10,6)
Eine prophylaktische Kolektomie wird – anders als bei der FAP – für Betroffene generell nicht empfohlen, da durch regelmäßige Vorsorgekoloskopien Karzinome in frühen Stadien regelmäßig diagnostiziert werden können. Liegt bereits ein Karzinom vor, sollte die Möglichkeit einer erweiterten (über eine onkologische Resektion hinausgehende) Resektion inklusive der möglichen Folgen für Nachsorge und Lebensqualität individuell mit den Betroffenen diskutiert werden. Hierbei wird als ein Kompromiss aus Lebensqualität (Kontinenz und Stuhlfrequenz) und Risikoreduktion in der Regel eine Kolektomie mit ileorektaler Anastomose favorisiert. Anschließend sind aufgrund des fortbestehenden Risikos für ein Rektumkarzinom weiterhin Endoskopien erforderlich, die dann jedoch als Rektoskopien nach Vorbereitung mittels Klysma deutlich weniger aufwendig sind. Das Risiko für ein metachrones Karzinom wird mit 16 % nach 10 Jahren, 41 % nach 20 Jahren und 62 % nach 30 Jahren nach Kolonsegmentresektion (trotz jährlicher Koloskopien) angegeben (Parry et al. 2011). Folglich muss im Rahmen der Beratung hinsichtlich einer möglichen erweiterten Resektion auch immer die Lebenserwartung der Betroffenen berücksichtigt werden. Die Entscheidung für eine erweiterte Resektion kann ggf. durch individuelle Faktoren wie fehlende Compliance, erschwerte Koloskopien bzw. deren Vorbereitung oder ausgeprägte Polypenbildung beeinflusst werden. Dagegen wird empfohlen, mit Patientinnen nach Abschluss der Familienplanung mit 40 Jahren, bzw. 5 Jahre vor dem frühesten Erkrankungsalter in der Familie, die prophylaktische Hysterektomie, ggf. mit Adnexektomie, zu besprechen, insbesondere dann, wenn eine Laparotomie aus anderen Gründen (beispielsweise bei einem KRK) erfolgt.
Lynch-assoziierte Karzinome folgen nach heutigem Kenntnisstand 3 unterschiedlichen Karzinogenesewegen, von denen einer, der häufiger als zuvor angenommen auftritt, keine typischen Polypen als Vorläuferläsionen des Karzinoms entstehen lässt (Ahadova et al. 2018). Zwar wird immer noch die engmaschige Koloskopie bei Lynch-Syndrom-Patienten propagiert, allerdings konnte jüngst in einer vergleichenden europäischen Studie kein Benefit einer 1-jährigen versus einer 3-jährigen Intervallkoloskopie festgestellt werden, was diese hoch-wahrscheinliche Hypothese klinisch untermauert (Engel et al. 2018). Aktuell wird in internationalen Studien systematisch untersucht, ob der Karzinogeneseweg der verschiedenen MMR-Gene Aufschluss über den Karzinogeneseweg mit oder ohne Polypenbildung bei den jeweiligen Genen erbringt (Abb. 6).

Genetik

Es sind 4 DNA-Reparatur-Gene (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) identifiziert worden, bei denen Keimbahnmutationen zur Entstehung eines LS führen. Weiterhin gibt es bei HNPCC-Patienten mit einem Verlust des MSH2-Proteins im Tumor auch Keimbahndeletionen des benachbarten EPCAM-Gens als ursächliche Mutationen. Alle Gene kodieren für DNA-Reparatur-Enzyme, deren Aufgabe es ist, bei der DNA-Replikation vor der Zellteilung entstandene falsche Basenpaarungen zu korrigieren.
Das HNPCC wird autosomal-dominant vererbt. Nicht jeder Anlageträger erkrankt im Laufe seines Lebens an einem Karzinom. Dabei bestehen deutliche Unterschiede in den verschiedenen MMR-Genen, die klinisch relevant sind für das Risikomanagement und auch für ein chirurgisches Vorgehen.
Der Ausfall eines DNA-Reparaturgens in den Tumorzellen lässt sich immunhistochemisch durch den Expressionsverlust des entsprechenden Proteins nachweisen. Bei Vorliegen einer Mikrosatelliteninstabilität eröffnet sich die Möglichkeit einer Immuntherapie. Allerdings ist für den Nachweis einer Keimbahnmutation in den MMR-Genen die immunhistochemische oder PCR-basierte Untersuchung nicht ausreichend. Der Nachweis eines LS erfolgt erst durch Nachweis einer pathogenen Keimbahnmutation in einem dieser Gene.

Lynch-like-Syndrom

Hiermit werden Konstellationen beschrieben, bei denen im Tumor eine Mikrosatelliteninstabilität vorliegt bzw. Mismatch-Repair-Proteine immunhistochemisch nicht anfärbbar sind, ohne dass eine Keimbahnmutation der Mismatch-Repair-Gene vorliegt. Dies ist in 50 % der Fälle darauf zurückzuführen, dass biallelische somatische Mutationen in MLH1 und MSH2 vorliegen (Mensenkamp et al. 2014). Da es sich hierbei um somatische Mutationen handelt, ist daher weder von einem Dispositionssyndrom auszugehen, noch eine intensivierte Vorsorge angebracht.

Familial Colorectal Cancer Type X

Hierunter werden Familien beschrieben, die die Amsterdam-Kriterien erfüllen, aber mikrosatellitenstabile Tumoren haben (Lindor 2009). Betroffene haben ein KRK-Risiko oberhalb der Allgemeinbevölkerung, aber unterhalb von Patienten mit einem mikrosatellitenstabilen KRK ohne Mutationsnachweis, also HNPCC. Das Risiko für extrakolonische Tumoren ist in der Regel nicht erhöht. Auch hier ist wahrscheinlich, dass verschiedene Gendefekte mit der Erkrankung in Zusammenhang gebracht werden können.

Zusammenfassung und Vorausschau

Hereditäre Dispositionssyndrome, die mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einem kolorektalen Karzinom führen werden, sind seit > 130 Jahren bekannt und meistens als Polyposissyndrome beschrieben. Zwar orientiert sich unser Blick als Kliniker weiterhin nach dem Phänotyp, allerdings zeigen systematische Panel-Untersuchungen zunehmend, dass auf dem Phänotyp basierende Einschätzungen nur die Spitze des Eisbergs identifizieren können.
In aller Welt wird die systematische Tumortestung präoperativ als Basis für diagnostische und auch therapeutische Entscheidungen gefordert. Genetische Tumor- und Keimbahntestung wird zunehmend in den chirurgischen Alltag integriert werden. In diesem Rahmen werden wir als Chirurgen unsere Patienten bezüglich ihres individuellen Risikoprofils vor allem zu dem Zeitpunkt einer Karzinomdiagnose kompetent beraten müssen – wer sonst? Ist eine prophylaktische Eingriffserweiterung indiziert? Welche Zusatzrisiken müssen bedacht und präoperativ angesprochen werden? Hier sei beispielhaft die S3-Leitlinie erwähnt, die verankert, dass bei Patientinnen mit einem Lynch-Syndrom eine prophylaktische Hysterektomie ab dem Alter von 40 Jahren bzw. nach abgeschlossener Familienplanung empfohlen werden sollte. Wenn also sowieso ein Eingriff wegen eines KRKs erfolgen muss, sollte ein Simultaneingriff angeboten werden. Eine Unterlassung könnte zunehmend juristische Konsequenzen mit sich bringen.
Dieses Kapitel sollte demnach für jeden kolorektalen Chirurgen ein Aufruf sein, sich mit dem präoperativen Risikoprofil aller Karzinompatienten und auch aller multiplen Polypenpatienten zu beschäftigen und nach Möglichkeit das genetische Profil in die präoperative Therapieentscheidungen individualisiert mit einzubeziehen. Nicht nur ein Indexpatient profitiert von einer risikojustierten Beratung und Therapie, denn durchschnittlich 3 weitere Familienangehörige werden bei einer autosomal-dominant vererbten Disposition von einer prädiktiven Diagnostik profitieren können.
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