Das kleinzellige
Lungenkarzinom (
SCLC) stellt eine besonders aggressive Tumorentität dar und ist durch schnellen Progress, sehr frühe Metastasierung und schlechte Prognose charakterisiert. Es ist morphologisch definiert durch kleine Zellen mit wenig Zytoplasma, schlecht erkennbaren Zellgrenzen, fein verteiltem granulärem
Kernchromatin und fehlenden oder unscheinbaren Nukleolen (D. K. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, AWMF),
2022). Typisch ist eine hohe Mitosenanzahl (beispielsweise durch Ki-67-Färbung darstellbar) und damit einhergehend häufig Nekrosenbildung. Nicht selten kann eine Kombination einer kleinzelligen und einer nichtkleinzelligen Komponente beobachtet werden. Die Prognose dieser Kombinationstumoren wird dabei in der Regel durch die kleinzellige Komponente bestimmt. Als Karzinom exprimiert das SCLC epitheliale Marker, die zumeist mit Pankeratin angefärbt werden können. Zudem können neuroendokrine Marker (CD56, Chromogranin A,
Synaptophysin) nachgewiesen werden. In der überwiegenden Zahl der Fälle zeigt sich zudem eine Expression von thyroidalem Transkriptionsfaktor 1 (TTF-1).
Nur wenige Patienten werden in einem frühen Erkrankungsstadium (Stadien I und II) diagnostiziert, bei dem in ausgewählten Fällen eine chirurgische Resektion diskutiert werden kann (Combs et al.
2015; Weksler et al.
2012; Wakeam et al.
2017a). Die Mehrzahl der Patienten (70 %) zeigt bereits bei Diagnose hämatogene Metastasen, die sich bevorzugt in Lunge, Gehirn, Leber, Nebenniere und Knochen finden. Die Prognose ist allgemein schlecht, das mediane Überleben beträgt im Stadium III 11–16 Monate und im Stadium IV 7,3 Monate (Nicholson et al.
2016). Chemotherapie und
Strahlentherapie sind häufig effektiv. Allerdings erleiden die meisten Patienten im metastasierten Stadium nach zunächst gutem Ansprechen auf eine platinhaltige Chemotherapie einen Progress im weiteren Verlauf mit dann nur limitierten Therapieoptionen.
Chirurgische Therapie
Eine alleinige Operation ist für ein
kleinzelliges Lungenkarzinom eine unzureichende Therapiemaßnahme. Allerdings können Patienten mit einem kleinzelligen
Lungenkarzinom (
SCLC) im frühen Stadium und ohne fortgeschrittenen (N2/N3) Lymphknotenbefall (Stadium I oder II nach TNM) von einer Operation integriert in ein multimodales Therapiekonzept durchaus profitieren. Die Überlebenschancen dieser Patienten sind dann nicht schlechter als die von Patienten mit einem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom in vergleichbaren Stadien (Weksler et al.
2012). Dass dennoch die Operation bei der Behandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms so gut wie keine Rolle spielt, liegt daran, dass weniger als 5 % der Kleinzeller im Stadium I oder II diagnostiziert werden. In der Mehrzahl der Fälle ist bei Diagnosestellung zumindest die lymphogene Metastasierung bereits so weit fortgeschritten, dass mit einer (zusätzlichen) Operation kein Überlebensvorteil erreicht werden kann. Größere, insbesondere aktuelle randomisierte Studien bezüglich der Integration einer kompletten Resektion in das therapeutische Konzept bei der Behandlung von SCLC-Tumoren im frühen Stadium sind jedoch nicht verfügbar. In retrospektiven Analysen konnte jedoch wiederholt ein deutlicher Überlebensvorteil in den Stadien I, II und ausgewählten IIIA nachgewiesen werden, wenn eine komplette Resektion erreicht werden kann (Combs et al.
2015; Wakeam et al.
2017b; Weksler et al.
2012).
Takenaka und Kollegen haben die Ergebnisse der eigenen Institution über einen Zeitraum von 37 Jahren ausgewertet (Takenaka et al.
2015). Unter 605 diagnostizierten Fällen mit einem kleinzelligen
Lungenkarzinom waren 277 in einem frühen Stadium, von diesen wurden 88 Patienten operiert, überwiegend Patienten im Stadium I und II, aber auch 10 % der Patienten im Stadium IIIa wurden reseziert. Es zeigte sich ein deutlicher Überlebensvorteil für operierte Patienten im Stadium I mit einem 5-Jahresüberleben von 62 % gegenüber lediglich 25 % für Patienten ohne Resektion. Für Patienten im Stadium II und III – ohne Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils – konnte kein Überlebensvorteil nachgewiesen werden. B ei der Betrachtung von Patienten mit vergleichbarem Risikoprofil („propensity matching“) zeigte sich jedoch auch im Stadium II oder III ein längeres Langzeitüberleben (28 % vs. 11 %) für die operierten Patienten (Takenaka et al.
2015). Eine retrospektive Analyse der Daten der National Cancer Data Base der USA ergab, dass bei 18 % der über einen 8-Jahreszeitraum dokumentierten 203.000 Patienten mit einem histologisch gesicherten kleinzelligen Lungenkarzinom der Tumor potenziell resektabel war. Für 80 % dieser Patienten lagen auswertbare Therapiedaten vor. Insgesamt wurden 2.476 Patienten primär mit kurativer Zielsetzung operiert, was ca. 9 % der potenziell resektablen Patienten und ca. 1 % des Gesamtkollektivs entspricht. Die 5-Jahresüberlebensraten nach Operation lagen bei 51 % für Patienten im Stadium I, bei 25 % für Patienten im Stadium II und bei 18 % für Patienten im Stadium III. Operation zusätzlich zur Chemotherapie senkte das Sterberisiko signifikant (HR: 0,57, 95 %-KI: 0,47–0,68) unabhängig von Alter, Tumorstadium und Komorbidität. Der Überlebensvorteil war nach Lobektomie signifikant größer als nach sublobarer Resektion (HR für Tod nach sublobarer Resektion im Vergleich zur Lobektomie: 1,38; 95 %-KI: 1,12–1,71) (Combs et al.
2015).
Vor einer geplanten Operation ist der bestmögliche Ausschluss eine Fernmetastasierung und eine sorgfältige Untersuchung der mediastinalen Lymphknoten erforderlich. Der sichere Ausschluss eines mediastinalen Lymphknotenbefalls sollte mittels PET-CT, EUS/EBUS und gegebenenfalls
Mediastinoskopie erfolgen. Patienten mit prätherapeutisch nachgewiesenem N2- oder N3-Befall sollten primär nicht operiert werden. Bei Patienten mit N1-Lymphknotenbefall wird der Stellenwert der Operation kontrovers diskutiert, abhängig vom Ausmaß der N1-Metastasierung. Ist die N1-Metastasierung so ausgeprägt, dass für eine komplette, radikale Resektion eine Pneumonektomie erforderlich wäre, sollte von einer Operation abgesehen werden (D. K. Leitlinienprogramm Onkologie, Deutsche Krebsgesellschaft, AWMF,
2022). Eine Analyse der Daten der US-amerikanischen National Cancer Data Base zeigte einen deutlichen Überlebensvorteil nach chirurgischer Resektion mit adjuvanter Chemotherapie für Patienten mit kleinzelligem
Lungenkarzinom und klinischen Tumorstadien T1–3 N1 M0 im Vergleich zu simultaner Radiochemotherapie mit einer 5-Jahresüberlebensrate von 31,4 % bzw. 26,3 % (HR 0,74, 95 %-KI: 0,56–0,97) (Yang et al.
2017).
Wird die Operation primär in Unkenntnis der Histologie zur Entfernung eines peripheren Rundherdes durchgeführt und die Diagnose
SCLC ergibt sich intraoperativ als Überraschungsbefund in der Schnellschnitt-Diagnostik, so sollte die Resektion nach dem gleichen Standard erfolgen, wie bei nichtkleinzelligen Karzinomen, d. h. es sollte eine anatomische Lungenresektion, in der Regel eine Lobektomie in Kombination mit einer systematischen interlobären, hilären und mediastinalen Lymphknotendissektion durchgeführt werden. Nach Lobektomie im Stadium pT1/2 pN0 werden bei SCLC 5-Jahresüberlebensraten von 52,6 % und ein medianes Überleben von 65 Monaten erreicht (Schreiber et al.
2010).
Postoperativ sollten operierte Patienten prinzipiell eine adjuvante Chemotherapie und eine PCI (Prophylactic Cranial Irradiation; prophylaktische Ganzhirnbestrahlung) erhalten. Bei Stadium I
SCLC stellen allerdings mehrere retrospektive Analysen den Nutzen einer PCI in Frage. Auf eine postoperative mediastinale Bestrahlung sollte hingegen verzichtet werden. Retrospektive Untersuchungen zeigen einen negativen Effekt auf das Langzeitüberleben bei einem pN0-Status (Wong et al.
2016).
Strahlentherapie
Die simultane Radiochemotherapie ist das Standardverfahren der Behandlung des
SCLC im Stadium „limited disease“, welches zumeist dem nichthämatogen metastasierten Stadium entspricht. Ein Vergleich in größeren, randomisierten, klinischen Studien mit einem multimodalen Konzept, welches eine Resektion des Tumors einschließt, ist jedoch nicht verfügbar. Üblich sind Kombinationschemotherapien (z. B. Cisplatin und Etoposid) zumindest über 4 Zyklen in 3-wöchigen Intervallen. Die
Strahlentherapie sollte nach Möglichkeit simultan zur Chemotherapie erfolgen (D. K. Leitlinienprogramm Onkologie, Deutsche Krebsgesellschaft, AWMF,
2022). Die Strahlentherapie wird zumeist in konventioneller Fraktionierung mit täglichen Einzeldosen von 1,8–2,0 Gy und einer Gesamtdosis der Strahlentherapie von 60–66 Gy durchgeführt. Eine klinische Studie zeigte beim Vergleich einer hyperfraktionierten Strahlentherapie mit 2-mal täglich 1,5 Gy bis zu einer Gesamtherddosis von 45 Gy vs. eine konventionelle fraktionierte Strahlentherapie mit täglichen Einzeldosen von 1,8 Gy bis zu einer Gesamtherddosis von 66 Gy keinen statistisch signifikanten Unterschied (D. K. Leitlinienprogramm Onkologie, Deutsche Krebsgesellschaft, AWMF,
2022). Die 5-Jahresüberlebensraten liegen in Studien zwischen 10 und 20 %. Die Bestrahlung des Mediastinums führt häufig zu Schluckbeschwerden im Rahmen einer radiogenen Ösophagitis, zu einer ausgeprägteren Fatigue sowie zu einer Verstärkung der Chemotherapie-bedingten
Anämie, Thrombopenie und Neutropenie. Zudem kann die Radiotherapie von Lungenanteilen eine radiogene Pneumonitis bedingen, die typischerweise 6–8 Wochen nach Abschluss der Radiotherapie auftritt und sich klinisch durch
Husten,
Fieber und Atemnot manifestiert. Eine prophylaktische Bestrahlung des Schädels reduziert das Risiko für das Auftreten von Hirnmetastasen von 40 % bei nichtbestrahlten Patienten auf unter 10 % bei schädelbestrahlten Patienten und verbessert die 5-Jahresüberlebensrate um absolut 5 % (D. K. Leitlinienprogramm Onkologie, Deutsche Krebsgesellschaft, AWMF,
2022).
Systemische Therapie
Im Stadium IV besteht nach heutigen Maßstäben keine Aussicht auf einen kurativen Therapieansatz. Allerdings kann eine systemische Therapie die mittlere Überlebenszeit deutlich verbessern, die unbehandelt nur wenige Monate betragen würde (Souhami und Law
1990). Die Durchführung einer systemischen Therapie sollte aufgrund des aggressiven Verlaufs der Erkrankung unverzüglich nach Diagnosestellung eingeleitet werden. Ein Ansprechen auf die Behandlung kann häufig bereits nach dem 1. Zyklus beurteilt werden. Bei Nichtansprechen ist die Prognose äußerst schlecht und ein sofortiges Umstellen der Therapie ist indiziert. Aufgrund von 2 Phase-III-Studien, die jeweils eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens durch die Kombination
Platin und Etoposid mit einem PD-L1-Checkpoint-Inhibitor (Atezolizumab oder Durvalumab) gezeigt haben (Paz-Ares et al.
2019; D. K. Leitlinienprogramm Onkologie, Deutsche Krebsgesellschaft, AWMF,
2022) gilt nun diese Kombination aus Chemotherapie und Immuntherapie als neuer Therapiestandard. Eine PD-L1-Expression ist bei SCLC-Tumoren nur selten vorhanden und scheint keine prädiktive Bedeutung zu besitzen.
Bei Kontraindikation gegenüber dem Einsatz von
Checkpoint-Inhibitoren sollte eine platinhaltige Kombinationstherapie durchgeführt werden, wobei als Kombinationspartner zum
Platin Etoposid, Irinotecan und Topotecan äquieffektiv scheinen. Zumeist wird Etoposid verwendet. Durch Weiterentwicklungen der supportiven Therapie konnte die Durchführung der Chemotherapie deutlich verbessert werden, sodass gerade Übelkeit und Erbrechen heutzutage deutlich seltener auftreten als früher. Dennoch gibt es verschiedene allgemeine und besondere Nebenwirkungen der jeweiligen Therapieprotokolle.
Auch eine konsolidierende thorakale Bestrahlung kann im hämatogen metastasierten Stadium eine therapeutische Option darstellen. In einer Phase-III-Studie führte eine zusätzliche thorakale
Strahlentherapie mit einer Dosis von 30 Gy bei Patienten mit
SCLC im Stadium „extensive disease“ und einem Ansprechen auf eine vorher durchgeführte Chemotherapie mit
Platin und Etoposid über 4–6 Zyklen zu einer Steigerung des 2-Jahresüberlebens um 10 % (HR 0,73) (Slotman et al.
2015).
Checkpoint-Inhibitoren wurden hier nicht eingesetzt.
Prophylaktische Ganzhinradiatio (PCI)
Analog zum Stadium „limited disease“ wurde auch für hämatogen metastasierte SCLC-Patienten ein Überlebensvorteil einer prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung
nach Ansprechen der Erkrankung auf die systemische Therapie beschrieben (Slotman et al.
2007). In einer japanischen Studien, bei der (anders als in der vorher erwähnten Studie) ein Ausschluss von Hirnmetastasen vor Ganzhirnbestrahlung mittels MRT Voraussetzung war, konnte der Überlebensgewinn der prophylaktischen Hirnbestrahlung allerdings nicht bestätigt werden (Takahashi et al.
2017). Daher kann derzeit keine klare Empfehlung für eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung im Stadium IV ausgesprochen werden. Zudem können mögliche Nebenwirkungen der PCI auf Beeinträchtigung der kognitiven Funktion,
Schwindel und
Kopfschmerzen die
Lebensqualität des Patienten negativ beeinflussen.