Immunologische Vorgänge an der embryomaternalen Grenzfläche
Die embryonale Einnistung in das Endometrium zum Zeitpunkt des eng definierbaren mittlutealen Implantationsfensters stellt einen dynamischen Prozess dar, der einen adäquaten Reifungszustand der Gebärmutterschleimhaut bedingt. Etwaige Störungen der endometrialen Differenzierung werden dabei als Infertilitätsursache angesehen (Strowitzki et al.
2006). Neben Epithelzellen, Stromazellen und Endothelien finden sich im Endometrium zum Zeitpunkt des Implantationsfensters ebenfalls spezifische Immunzellen, die durch Modifikation der endometrialen Rezeptivität wesentlich am maternoembryonalen Dialog zum Zeitpunkt der Einnistung beteiligt sind (Strowitzki et al.
2006). So werden veränderte endometriale Immunzellfunktionen und -konzentrationen als mögliche Ursachen für Sterilität und Infertilität diskutiert.
Von dem je hälftig aus paternalem und maternalem Erbmaterial bestehenden Embryo müssen im Rahmen der der Frühgravidität einzelne Entwicklungsschritte absolviert werden, die wiederum eine endometriale Synchronisierung erfordern. Dieser auch als embryomaternaler Dialog bezeichnete Ablauf von Adhäsion, Invasion und Implantation der semiallogenen Blastozyste wird dabei von einer aktiven Modulation des maternalen Immunsystems begleitet; zudem spielen koordinierte Schritte der Angiogenese und Dezidualisierung eine entscheidende Rolle bei der Implantation.
In der Phase der
Invasion tritt der Trophoblast nach Penetration der Basalmembran in direkten Kontakt mit dem aus dezidualisierten Stromazellen, LGL („large granular lymphocytes“) und zahlreichen anderen immunkompetenten Zellen bestehenden stromalen Zellverband der Dezidua. Die feine Balance und Interaktion der immunkompetenten Zellen der embryomaternalen Grenzfläche verhindert dabei die normalerweise beim Kontakt mit fremden
Antigenen einsetzende Abstoßungsreaktion. Eine Dysregulation birgt somit das Risiko einer Störung der Schwangerschaft.
Die von entscheidender Bedeutung ablaufenden immunologischen Wechselwirkungen an dieser Grenzfläche sind aktuell nur unvollständig bekannt (Franasiak und Scott
2017) und Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten. Es kann daher nicht Ziel dieses Kapitels sein, diese entsprechenden Schritte in allen (bekannten) Einzelheiten darzulegen. Vielmehr sollen anhand eines Überblicks über bekannte und relevante endometriale Immunprozesse
sowie selektive exogene Beeinflussungsmöglichkeiten aktuell propagierte Therapieoptionen bei Kinderwunschpatientinnen einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Auf weitere, grundsätzliche Aspekte des embryomaternalen Dialogs wird im Kap. „Endometrium und Embryo – Interaktion“ eingegangen.
Grundsätzlich liegt in Hinblick auf immunologische Fragestellungen das Problem vor, dass in risikobehafteten Graviditäten die Untersuchung einer möglicherweise alterierten maternalen Immunantwort auf das Transplantat Embryo hypothetisch nur durch eine (invasive) Endometriumsbiopsie möglich wäre, was mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem tödlichen Ausgang für den Embryo vergesellschaftet wäre.
Immunologische Grundlagen
Im Rahmen einer Schwangerschaft werden die paternalen
Antigene des Embryos vom mütterlichen Immunsystem als solche – nämlich als allogen – erkannt. Hierdurch wird eine Expression von
Alloantikörpern, wie z. B. Anti-anti-HLA-Antikörpern (Ab2), antipaternalen zytotoxischen
Antikörpern (APCA), Mixed-lymphocyte-reaction-blocking-Antikörpern (MLR-Bf) etc., induziert, die jedoch im Gegensatz zu einer Abstoßungsreaktion nach Transplantationen zu einer schützenden Abdeckung („coating“) des Embryos führt. Hierdurch bleibt eine mütterliche zytotoxische Immunreaktion aus (Pandey et al.
2005). Beispielsweise erkennen Ab2-Antikörper Alloantigenrezeptoren auf Immunzellen, wodurch eine T-Zell-aktivierte alloimmune Antwort unterbleibt (Ito et al.
1999).
Eine qualitative oder quantitative Verringerung von protektiven
Alloantikörper erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt (Agrawal et al.
2002).
In Abhängigkeit vom Zykluszeitpunkt findet sich im Endometrium und der Dezidua eine unterschiedliche Menge an
Leukozyten, welche sich v. a. aus T-Zellen,
Makrophagen und CD56-positiven LGL („large granular lymphocytes
“) zusammensetzen. Diese immunkompetenten Zellen befinden sich dabei in Kontakt mit anderen Zellarten, wie Stromazellen, Epithelien sowie Endothelzellen von Gefäßen (Kämmerer et al.
2004). Von einigen Autoren wird u. a. ein endometriales Ungleichgewicht bestimmter T-Zell-Subtypen als möglicher Risikofaktor für das Auftreten von Fehlgeburten postuliert.
Die Zyklusabhängigkeit endometrialer Leukozytenpopulation lässt sich besonders gut an diesen LGL festmachen: Finden sich diese CD56-positiven Zellen kaum in der Proliferations- und frühen Sekretionsphase, repräsentieren sie fast 70 % der
Leukozyten des endometrialen Stromas der späten Sekretionsphase sowie der intakten Frühgravidität (Quack et al.
2001). Als wesentliches Unterscheidungskriterium zu anderen CD56-positiven Zellen – einem Marker
peripherer natürlicher Killerzellen (NK-Zellen) – weisen endometriale LGL keine Positivität der klassischen NK-Zell-Marker CD16 und CD57 auf (Quenby et al.
1999).
Bei CD56-positiven Zellen werden grundsätzlich solche mit schwacher CD56-Expression und der Hauptfunktion Zytolyse von Zellen mit starker CD56-Expression und der bevorzugten Aufgabe der Zytokinsekretion unterschieden: Uterine NK-Zellen zeigen dabei eine starke Zytokinexpression (Parham
2004). Zudem weisen periphere und uterine NK-Zellen ein differierendes Genexpressionsmuster auf (Parham
2004). Es ist daher falsch anzunehmen, allein aus der Aktivität peripherer NK-Zellen auf uterine Funktionen zurückzuschließen (Carrington et al.
2005). Zudem konnte nachgewiesen werden, dass eine erhöhte periphere NK-Zell-Konzentration und -Aktivität durch eine akute Stressauslösung im Rahmen einer
Blutentnahme induziert werden kann (Shakhar et al.
2006). Die Fokussierung auf periphere oder uterine NK-Zellen als putative Sterilitätsursache wird daher zunehmend kritisch gesehen (Alecsandru und García-Velasco
2017).
Die alleinige quantitative Bestimmung uteriner NK-Zellen ist bei Frauen mit
Kinderwunsch nach Meinung renommierter Experten aufgrund methodischer Probleme – fehlende einheitliche Protokolle zur Bestimmung der Immunzellen, fehlende Zyklustages-spezifische Normwerte, fehlende Bestimmung von Subtypen im Rahmen einer immunhistochemischen Analyse, fehlende Information über immunologische Aktivität sowie fehleranfällige, rein subjektive mikroskopische Quantifizierung – sowie der potenziellen „Krankmachung von Kinderwunsch-Patientinnen“ aufgrund unzutreffender Befunde bzw. der potenziellen Einleitung kostspieliger Therapien ohne klaren Wirknachweis ebenfalls nicht zielführend (Moffett und Shreeve
2015; Sacks
2015).
Nicht nur die endometriale bzw. deziduale Konzentration einzelner Immunzelltypen ist von Bedeutung; vielmehr sind auch Expressionsmuster von
Zytokinen sowie deren Rezeptoren von besonderer Relevanz. Insbesondere eine überschießende lokale Freisetzung des Tumornekrosefaktors
(TNF) scheint ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie wiederholte Fehlgeburten, Präeklampsie und vorzeitige Wehen darzustellen (Haider und Knöfler
2009).
Weiterhin kommt im Hinblick auf den Erhalt der Schwangerschaft CD4-Zellen an der embryomaternalen Grenzfläche eine hohe Bedeutung zu. Zumindest 3, in ihrem Zytokinsekretionsprofil differierende, Subtypen dieser auch als T-Helfer-Zellen (Th-Zellen) bezeichneten Zellen werden dabei unterschieden (Piccinni et al.
1995). Ein als Th-1 bezeichneter Subtyp induziert eine NK-Zell-Aktivierung sowie eine vermehrte Produktion toxischer
Zytokine; während Th-2-Zell-Klone eher schwangerschaftsprotektive Zytokine freisetzen (Pandey et al.
2005). Ein dritter Subtyp sezerniert Zytokine sowohl vom Th-1- als auch Th-2-Typ, nimmt aber beispielsweise unter einem modulierenden Progesteroneinfluss ein Th-2-Zell-Sekretionsprofil ein (Piccinni et al.
1995). Insgesamt wird eine Dysbalance zwischen einer Th-1- und Th-2 Zell-Reaktion an der embryomaternalen Grenzfläche als Risikofaktor für Schwangerschaftskomplikationen angesehen (Pandey et al.
2005).
Antiphospholipidsyndrom als Beispiel einer Autoimmunerkrankung
Als Beispiel einer fehlgeleiteten Immunreaktion muss das sog.
Antiphospholipidsyndrom (APS)
angesehen werden, das durch die Kombination klinischer und laborchemischer Auffälligkeiten charakterisiert ist (Tab.
1). Den Bezug zur Reproduktionsmedizin weist das APS in Form
habitueller Aborte – ≥2 Fehlgeburten der gleichen Partnerschaft (Practice Committee ASRM
2008) – auf.
Tab. 1
Klinische und laborchemische Definition des Antiphospholipidsyndroms. (Mod. nach Miyakis et al.
2006)
oder gegen β2-Glykoprotein oder Vorhandensein des Lupus anticoagulans, 2 × im Abstand von >12 Wochen gemessen, und … | … mindestens 3 Frühaborte vor der 10. Schwangerschaftswoche (SSW), bei gleichzeitigem Ausschluss fetaler bzw. maternaler anatomischer und hormoneller Auffälligkeiten sowie chromosomaler Ursachen beider Elternteilen oder |
| … eine Fehlgeburt nach der 10. SSW (inkl. intrauteriner Fruchttod), bei Ausschluss fetaler morphologischer Auffälligkeiten oder |
| |
| … arterielle bzw. venöse Thrombose |
Bei an einen APS leidenden Patientinnen werden dabei spezifische
Antikörper gegen anionische
Phospholipide (z. B.
Cardiolipin, β
2-Glykoprotein) bzw. phospholipidhaltige Strukturen oder Lupus anticoagulans nachgewiesen.
Zur Bestätigung eines APS müssen die erhöhten
Antikörpertiter nach frühestens 12 Wochen serologisch bestätigt werden, um transient erhöhte Laborparameter – wie z. B. im Rahmen viraler Infektionen – nicht als falsch-positiv einzustufen.
Klinisch bedeutsam sind die
Antikörper durch ihre Beeinflussung des Gerinnungssystems via Verringerung der Fibrinolyse mittels einer reduzierten Protein-C-Aktivität. Ebenso zeigt sich antikörpervermittelt eine verringerte Antithrombinaktivität. Ein APS stellt dabei die bedeutsamste
erworbene Thrombophilie dar. Während die
Prävalenz der Antikörper in der Normalbevölkerung bei etwa 1–2 % liegt, ist sie bei Frauen mit
habituellen Aborten signifikant erhöht (Prävalenz ca. 15 %), unbehandelt liegt ein bis zu 90 %iges Risiko eines erneuten Aborts in einer Folgegravidität vor (Übersicht bei Bohlmann et al.
2009).
Neben ihren direkten thrombophilen Effekten, die sich beispielsweise auch in einem vermehrten Auftreten intervillöser Fibrindepots manifestieren, ist insbesondere die Interaktion der
Antikörper mit den Trophoblastzellen bedeutsam: Es findet sich durch diese ebenfalls gegen
Epitope des Trophoblasten gerichteten Antikörper eine verzögerte und gestörte trophoblastäre Fusion, sodass deren Invasionskapazität eingeschränkt wird.
Die Datenlage zu Therapieoptionen bei einem alleinigen Nachweis von Phospholipidantikörpern ohne anamnestische thromboembolische Ereignisse oder Schwangerschaftskomplikationen – z. B. im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung – ist nicht eindeutig (Steinvil et al.
2012; Paulmyer-Lacroix et al.
2014). Somit kann nach aktuellem Stand keine evidenzbasierte Empfehlung zur analogen Antikoagulation im Rahmen der Prophylaxe eines (wiederholten)
Implantationsversagens ausgesprochen werden.
Zusammenfassung
Subsumierend lässt sich somit feststellen, dass mit Ausnahme der Behandlung der Autoimmunerkrankung
Antiphospholipidsyndrom bis dato die Datenlage zur „immunologischen“ Behandlung in der Reproduktionsmedizin nicht durch Studien mit ausreichend hohem Evidenzniveau abgesichert sind – oder aber in solchen Studien ein Therapieerfolg eben nicht nachgewiesen werden konnte.
Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt unter der Maßgabe Primum nihil nocere von einem Einsatz „immunmodulatorischer“ Präparate wie TNF-Blocker,
G-CSF und Verfahren der aktiven und passiven Immunisierung aufgrund des unklaren Therapieerfolges und potenzieller Risiken außerhalb klinischer Studien klar abzuraten.
Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass es sich bei den uns konsultierenden Patientinnen i. d. R. um junge, ansonsten gesunde Frauen handelt, bei denen die Langzeitfolgen fragwürdiger „Therapie“-Ansätze nicht abzusehen sind.