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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 30.06.2023

Osteochondrale Frakturen der Patella

Verfasst von: Nina Hörlesberger und Annelie M. Weinberg
Die osteochondrale Fraktur, als Zusammenspiel ungünstiger biomechanischer Scherkräfte, gehört zu den häufigsten knöchernen Verletzungen des kindlichen Kniegelenks. Als reine chondrale Abscherverletzung kommt sie selten vor. Die (osteo)chondrale Verletzung entsteht am häufigsten im Rahmen einer Patellaluxation und präsentiert sich klinisch typischerweise mit einem Hämarthros, aber auch eine Einklemm- oder Blockadesymptomatik sind möglich. Bei Verdacht auf ein (osteo)chondrales Flake sollte auch bei unauffälligem Nativröntgen (inkl. Tunnelaufnahme nach Frick) eine MRT durchgeführt werden. Je nach Größe und Lokalisation erfolgt dann die Therapieentscheidung. Während kleine, nicht-refixierbare Fragmente arthroskopisch entfernt werden, gibt es für die Refixierung größerer Flakes verschiedenste Refixationsmöglichkeiten.

Ursache und Häufigkeit

Die osteochondrale Frakturals Folge von biomechanisch ungünstigen Scherkräften, kombiniert mit statischer Krafteinwirkung betrifft, wie es ihr Name schon sagt, sowohl den knöchernen als auch den knorpeligen Anteil des betroffenen Knochens. Reine chondrale Abscherverletzungen sind selten, wurden aber beim Kind und beim Adoleszenten bereits beschrieben (Fabricant et al. 2018).
Die osteochondrale Fraktur nach Patellaluxation ist die häufigste knöcherne Läsion des kindlichen Kniegelenks. Rund 40 % der Kinder und Adoleszenten weisen nach stattgehabter Patellaluxation eine osteochondrale Verletzung auf, hauptsächlich im Bereich der Patella (vor allem an der medialen Facette), aber auch femoral (vor allem lateral distal) oder an beiden Lokalisationen. Auf mögliche Begleitverletzungen wie beispielsweise die vordere Kreuzbandruptur ist zu achten (Bauer 2018). Jeder Hämarthros nach stattgehabter Patellaluxation ist verdächtig auf eine osteochondrale Fraktur.

Diagnostik

Klinik

Typischerweise zeigen sich eine lokale Schwellung und Druckdolenz rund um die Kniescheibe. Die Patella luxiert meist nach lateral und lässt sich im noch luxierten Zustand deutlich tasten. Das durch den Hämarthros bedingte Bild der tanzenden Patella ist ein weiteres, klassisches Merkmal einer solchen Verletzung. Schwellungs- und schmerzbedingt ist die Beweglichkeit des Kniegelenks oftmals auch nach Reposition noch eingeschränkt.
In den meisten Fällen kommt es zu einer spontanen Reposition der Patella durch Streckung im Kniegelenk, weshalb eine gründliche Anamnese essenziell für das stattgehabte Trauma und die zu erwartenden Verletzungen ist. Ist die Kniescheibe noch – meist nach lateral – luxiert, ist das Kniegelenk meist leicht gebeugt fixiert und schmerzbedingt nahezu bewegungsunfähig. Die Schmerzlinderung tritt unmittelbar nach Reposition ein.
Der Hämarthros entsteht auf Basis der osteochondralen Läsion bzw. der Bandzerreißung und enthält, sofern tatsächlich punktiert wird, bei traumatisch bedingter Eröffnung des spongiösen Raumes fast immer Fettaugen. Die Diagnostik mittels Punktion des Hämarthros wurde jedoch von der nicht invasiven MRT abgelöst und sollte ausschließlich zur Schmerztherapie in ausgewählten Fällen angewandt werden.

Primärer Notfall

Chondrale oder osteochondrale Flakes können eine Einklemm-, aber auch Blockadesymptomatik verursachen, triggern die Synovitis und zählen im Falle einer Gelenkblockade zu einer Notfallindikation.

Komplikationen

Freie Gelenkkörper können, abgesehen von klinischen Beschwerden, intakten Knorpel schädigen. Übersehene oder unbehandelte Verletzungen können im weiteren Verlauf zu erheblichen Folgeschäden und konsekutiven Beschwerden führen, da der Knorpel selbst im Kindesalter nur über ein sehr eingeschränktes Selbstheilungspotenzial verfügt.

Radiologie

Chondrale Fragmente sind auf dem Röntgenbild nicht sichtbar, aber auch osteochondrale Fragmente stellen sich häufig am Nativröntgen nicht dar. Bei unauffälligem Nativröntgen ist daher bei entsprechendem klinischem Befund eine weitere Bildgebung, wie vorzugsweise eine MRT-Untersuchung, alternativ hierzu eine CT-Untersuchung, indiziert.

Röntgen

Empfohlen werden Standardaufnahmen vom Knie a/p und seitlich, die tangentiale Patellaaufnahme sowie die Tunnelaufnahme nach Frick. Die Tunnelaufnahme nach Frick erlaubt die Darstellung etwaiger Fragmente in der interkondylären Region (Abb. 1).

Magnetresonanztomografie

Beim Verdacht einer chondralen oder osteochondralen („flake fracture“) Läsion ist die MRT des Kniegelenks die sensitivste nicht invasive Untersuchungsmethode (Abb. 2). Sind die Fragmente nicht von Flüssigkeit umgeben, ist ein lokalisierter Verlust von Knorpel an der Patellarückfläche oder am Femur ein indirektes Zeichen einer solchen Verletzung. (Sanders und Crim 2001).

Chirurgisch und spezielle Anatomie

Mit einer Schichtdicke von 7–8 mm sorgt der hyaline Gelenkknorpel der Patella für eine gute mechanische Dämpfung und ein reibungsloses Gleiten. Auf Zellebene besteht er aus Chondrozyten, Kollagenfasern (vor allem Typ II) und Proteoglykanen. Der hyaline Knorpel wird aufgrund der fehlenden Gefäßversorgung (avaskulär und alymphatisch) ausschließlich durch Diffusion ernährt.

Therapie

Prinzipiell richtet sich die Therapie der Wahl beim Kind oder Adoleszenten nach der Größe und Lokalisation der Fragmente. So kann hier zwischen regenerativen und transplantierenden Verfahren ausgewählt werden.
Auf eine ausreichende Analgesie und bei Bedarf Thromboembolieprophylaxe ist zu achten.

Therapieziel

Primäres Ziel ist die schnellstmögliche Wiederherstellung der Gelenkkongruenz. Eine rasche operative Sanierung refixierbarer Fragmente ist anzuraten (innerhalb der ersten zehn bis 14 Tage), da diese zu quellen beginnen und letztlich nicht mehr exakt in den Defekt eingepasst werden können (Chotel et al. 2011; Kuhle et al. 2015).

Konservativ

Prinzipiell steht die konservative Therapie im Falle einer osteochondralen Verletzung im Hintergrund. Bei sehr kleinen rein chondralen Flakes und fehlender Gelenkblockade ist ein konservativer Therapieversuch aufgrund der Resorptionstendenz in Erwägung zu ziehen (Kuhle et al. 2015). In Arbeiten wurde eine Fragmentgröße < 10 mm bis zu < 15 mm als tolerabel für ein konservatives Vorgehen gesehen (Seeley et al. 2013; Palmu et al. 2008). Eine kurzfristige symptomorientierte Ruhigstellung, z. B. mittels Knee-Brace, kann zur Schmerzlinderung beitragen. Anschließend sollte eine funktionelle Therapie mit Physiotherapie eingeleitet werden, wenn nicht die Patellaluxation anderweitige Eingriffe nach sich zieht.

Operativ

Prinzipiell kann hier zwischen regenerativen und transplantierenden Verfahren ausgesucht werden. Je nach Größe und Schwere der Läsion existieren in der Literatur Empfehlungen. Refixierbare Fragmente müssen zeitnahe operativ refixiert werden. Auch eine Einklemm- oder Blockadesymptomatik stellen die Indikation für eine zeitnahe operative Versorgung dar.

Debridement/Exzision

Sehr kleine bzw. nicht refixierbare Flakes können arthroskopisch entfernt werden. Das isolierte Debridement osteochondraler Flakes der Patella zeigte in Studien ein besseres Outcome als das isolierte Debridement osteochondraler Flakes des Femurs (Bauer 2018; Seeley et al. 2013; Prince et al. 2015).

Regenerative Verfahren

Mikrofrakturierung
Für nicht refixierbare Defekte stellt die Mikrofrakturierung eine Therapieoption bei Defektgrößen < 1 cm2 (in manchen Publikationen bis zu < 2 cm2) als minimal invasive Technik bei insgesamt gutem Outcome dar. Hierbei werden arthroskopisch mittels Bohrer oder Ahle kleinste Frakturen gezielt in den subchondralen Knochen gesetzt. Pluripotente Stammzellen können so aus dem Markraum auswandern und durch die Stimulation von Wachstumsfaktoren Faserknorpel bilden.
Die Mikrofrakturierung zeigte in den Kurzzeitbeobachtungen bei Läsionen, die < 2 cm2 waren gute Erfolge, in den Langzeitergebnissen waren die Ergebnisse jedoch wenig zufriedenstellend im Vergleich zu alternativen Verfahren (Gudas et al. 2012; Rath et al. 2017).
Refixation
Größere osteochondrale Fragmente mit intaktem Knorpel sollten refixiert werden (Abb. 3 und 4). Hierzu steht dem Chirurgen eine Vielzahl an Methoden zur Auswahl: nicht-resorbierbare Schrauben (Kopfschrauben, Kompressionsschrauben), aber auch bioresorbierbare Schrauben und Pins, Fadenmaterial („Suture-Bridge“), Fibrinkleber und Meniskusrefixierungssysteme.
Nicht resorbierbare Schrauben zeigten eine geringere postoperative Reaktion, während die Notwendigkeit des Zweiteingriffes zur Implantatentfernung genannt werden muss. Bei der Verwendung von Metallschrauben ist eine ausreichend tiefe Platzierung des Schraubenkopfs wichtig, da nach Abschwellen des Knorpels ein Überstehen des Schraubenkopfs eine massive Knorpelschädigung verursachen würde (Kuhle et al. 2015).
Fadenmaterial und Fibrinkleber weisen im Vergleich zu anderen Verfahren eine niedrigere Primärstabilität auf. Bioresorbierbare Implantate benötigen keinen Zweiteingriff, interferieren nicht in einer MR-Untersuchung und verfügen über eine hohe Primärstabilität, es wurden jedoch rezidivierende Gelenkergüsse und Arthrofibrosen beschrieben. Fabricant et al. zeigten in ihrer Fallserie gute Kurzzeitergebnisse nach Refixierung mittels bioresorbierbarer Implantate (Fabricant et al. 2018).
Diese bioresorbierbaren Pins bestehen aus Polydioxanon (PDS), Polyglykolid (PGA) und Polylaktid (PLA). Während bei PDS Osteolysen und Fremdkörperreaktionen und bei PGA abakterielle Entzündungen beschrieben wurden, punktet PLA durch eine günstige Resorptionszeit (Kuhle et al. 2015). Aufgrund der niedrigen Komplikationsrate und der extrem seltenen Nebenwirkungen hat sich PLA durchgesetzt.
Generell zeigten Patienten mit noch offenen Fugen unter der Verwendung bioresorbierbarer Implantate bessere Heilungsraten und weniger Komplikationen als Patienten mit bereits geschlossenen Epiphysenfugen.
Eine Alteration der Wachstumsfuge ist bei allen Operationsverfahren zu vermeiden.

Transplantierende Verfahren

Diese Verfahren sind in erster Linie bei Versagen der Refixierung bzw. bei nicht-refixierbaren großen Defekten (ab 2,5 cm2) indiziert.
Autologe Chondrozytentransplantation (ACT)
Bei diesem Verfahren werden in einer ersten Operation körpereigene Chondrozyten entnommen, welche in einer Nährlösung weiter gezüchtet und schließlich mittels einer Trägermatrix in den Defekt in einem Zweiteingriff eingebracht werden.
Große osteochondrale Läsionen können mittels autologer Chondrozytentransplantation im entsprechenden Fachzentrum behandelt werden und zeigten bei Jugendlichen zufriedenstellende Ergebnisse (Micheli et al. 2006; Niethammer et al. 2017).
Osteochondrale Zylinder (OCT, Auto- und Allografts)
Hierbei wird an einer gesunden, geeigneten Stelle eine Stanze eines Knorpel-Knochen-Zylinders entnommen und an der gewünschten Stelle reimplantiert. Prinzipiell kann dieser Knorpel-Knochen-Zylinder autolog oder ein Spender-Zylinder sein.
Die Studienlage zu osteochondralen Auto- und Allografts bei Kindern und Jugendlichen ist nach wie vor wenig aussagekräftig. Familiari et al. berichteten in einem systematischen Review von Implantationen osteochondraler Allografts bei Kindern und Jugendlichen ab 10 Jahren, wenngleich die integrierten Studien durch einen großen Range der Altersklassen nur eine geringe Aussagekraft bzgl. der Anwendbarkeit im Falle osteochondraler Flake-Frakturen auf Kinder hat (Familiari et al. 2018).

Komplikationen

Das Nichteinheilen des Fragments und der Verbleib als freier Gelenkkörper („Gelenkmaus“) ist die häufigste Komplikation nach (osteo)chondralen Verletzungen. Postoperativ müssen Zystenformation, mögliche Implantatbrüche sowie eine Schädigung der gegenüberliegenden Gelenkfläche durch beispielsweise überstehende Schraubenköpfe genannt werden. Größere Defekte im Gelenkbereich sind als präarthrotische Deformität zu bezeichnen.

Nachbehandlung

Konservativ
Eine adäquate Schmerztherapie und schmerzadaptierte Mobilisierung, eventuell unter Zuhilfenahme einer kurzfristigen Retention zur Schmerzreduktion kann individuell festgelegt werden. Anschließend sollte eine Physiotherapie eingeleitet werden, wenn nicht die Patellaluxation eine entsprechend andere Therapie fordert (s. Kap. „Patella(sub)luxation“ und „Patellaluxationen beim Kind“).
Operativ
Das postoperative Behandlungsschema orientiert sich nach dem chirurgischen Verfahren. Bei einer zusätzlichen Behandlung des Patella-Malalignments ist diese zu berücksichtigen. Zur Vermeidung einer Muskelatrophie sollte jedoch nach Möglichkeit frühfunktionell behandelt werden. Im Falle einer Refixation, einer Mikrofrakturierung oder Transplantation sollte eine Entlastung für zumindest 6 Wochen eingehalten werden. Auch die Verwendung einer Knieorthese mit Bewegungslimitation von 30° Flexion für die ersten beiden Wochen, danach weitere 2 Wochen 60° Flexion und die letzten beiden Wochen 90° Flexion sind gängige Nachbehandlungsschemata.
Literatur
Bauer KL (2018) Osteochondral injuries of the knee in pediatric patients. J Knee Surg 31(5):382–391CrossRefPubMed
Chotel F et al (2011) Knee osteochondral fractures in skeletally immature patients: French multicenter study. Orthop Traumatol Surg Res 97(8 Suppl):S154–S159CrossRefPubMed
Fabricant PD et al (2018) Fixation of traumatic chondral-only fragments of the knee in pediatric and adolescent athletes: a retrospective multicenter report. Orthop J Sports Med 6(2):2325967117753140CrossRefPubMedPubMedCentral
Familiari F et al (2018) Clinical outcomes and failure rates of osteochondral allograft transplantation in the knee: a systematic review. Am J Sports Med 46(14):3541–3549CrossRefPubMed
Gudas R et al (2012) Ten-year follow-up of a prospective, randomized clinical study of mosaic osteochondral autologous transplantation versus microfracture for the treatment of osteochondral defects in the knee joint of athletes. Am J Sports Med 40(11):2499–2508CrossRefPubMed
Kuhle J, Sudkamp NP, Niemeyer P (2015) Osteochondral fractures at the knee joint. Unfallchirurg 118(7):621–632; quiz 633–4PubMed
Micheli LJ et al (2006) Articular cartilage defects of the distal femur in children and adolescents: treatment with autologous chondrocyte implantation. J Pediatr Orthop 26(4):455–460CrossRefPubMed
Niethammer TR et al (2017) Matrix based autologous chondrocyte implantation in children and adolescents: a match paired analysis in a follow-up over three years post-operation. Int Orthop 41(2):343–350CrossRefPubMed
Palmu S et al (2008) Acute patellar dislocation in children and adolescents: a randomized clinical trial. J Bone Joint Surg Am 90(3):463–470CrossRefPubMed
Prince MR et al (2015) Treatment of patellofemoral cartilage lesions in the young, active patient. J Knee Surg 28(4):285–295CrossRefPubMed
Rath B et al (2017) Cartilage repair of the knee joint. Orthopade 46(11):919–927CrossRefPubMed
Sanders RK, Crim JR (2001) Osteochondral injuries. Semin Ultrasound CT MR 22(4):352–370CrossRefPubMed
Seeley MA, Knesek M, Vanderhave KL (2013) Osteochondral injury after acute patellar dislocation in children and adolescents. J Pediatr Orthop 33(5):511–518CrossRefPubMed