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Klinische Angiologie
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Publiziert am: 17.11.2022

Physikalische Therapie von Ödemen

Verfasst von: Christian Ure
Ödeme als Symptom verschiedener Erkrankungen sind hinweisend auf ein gestörtes Gleichgewicht des intravasalen und interstitiellen Raums. Durch diagnostische Schritte muss die Ursache ergründet und kausal behandelt werden. Mit der kausalen Therapie verschwindet auch das Ödem als Symptom der zugrunde liegenden Erkrankung.
Begleitend können physikalische Therapiemaßnahmen wie Manuelle Lymphdrainage (MLD), Bandagierung, Mobilisation, intermittierende pneumatische Kompression (IPK/AIK), Tiefenoszillation und andere die Ödemrückbildung beschleunigen.
Lymphödeme dagegen sind kein Symptom, sondern eine eigenständige progrediente Erkrankung mit typischen Gewebeveränderungen und benötigen eine spezifische Therapie, die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE/engl CDT) um ein weiteres Fortschreiten mit zunehmender Immobilität und Invalidität zu verhindern.

Definitionen und grundsätzliche Erwägungen

Das Ödem entsteht auf der Basis verschiedener Erkrankungen und ist gekennzeichnet durch Austritt von Flüssigkeit aus dem intravasalen Raum und deren Ansammlung im interstitiellen Raum. Unter Ödemen versteht man also eine Flüssigkeitsvermehrung im Interstitium.
In der Peripherie zeigen sich Ödeme als sichtbare und tastbare Schwellung infolge der Flüssigkeitseinlagerung im Gewebe. Das „Ödem“ ist lediglich Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung. Völlig anders verhält es sich beim Lymphödem, denn das Lymphödem ist kein „Ödem“ im Sinne eines reversiblen Symptoms.
Das Lymphödem ist im Gegensatz zum Ödem ein chronisches, zur Progression neigendes eigenständiges Krankheitsbild, welches auf einer mechanischen Insuffizienz des Lymphdrainagesystems beruht. Das Lymphödem kann angeboren (primäres Lymphödem) oder erworben sein (sekundäres Lymphödem). (AWMF S2k LL-Lymphödem 2017)
Kap. „Lymphödem“ (Schacht-Stahlbock, V.)
Die Transportkapazität der Lymphgefäße ist zu niedrig, um die anfallenden lymphpflichtigen Lasten aufzunehmen. Im Gegensatz zum Ödem als Krankheitssymptom führt hier die Ansammlung der „lymphpflichtigen Last“ zu einer chronischen, entzündlichen Schädigung des Interstitiums. Diese vermehrte und veränderte Flüssigkeit im Interstitium ist verantwortlich für den typischen fortschreitenden fibrosklerotischen Umbauprozess im weiteren Krankheitsverlauf des Lymphödems. (Földi et al. 2009). Man unterscheidet primäre und sekundäre Lymphödeme (siehe Tab. 1). Sekundäre Lymphödeme sind mit ca. 89 Prozent die häufigste Form, sie sind erworben durch Schädigung oder Verletzung des Lymphtransportsystems, zum Beispiel bei kurativer Behandlung des Mammakarzinoms (Rebegea et al. 2015; Dayes et al. 2013; Devoogdt et al. 2011). Das primäre Lymphödem mit einer Häufigkeit von ca. 11 Prozent aller Lymphödeme hingegen entsteht in Folge einer genetischen Prädisposition. Diese kann über die Keimbahn vererbt (hereditär), oder als spontan auftretende Genmutation (sporadisch) zu verschiedenen Zeitpunkten klinisch manifest werden (Lee et al. 2010; Schöhl et al. 2013).
Tab. 1
Einteilung des Lymphödems nach der Ursache lymphovasculärer und lymphonodulärer Erkrankungen
Ursache des primären Lymphödems
Ursache des sekundären Lymphödems
Durch Genmutation verursachte
• Lymphgefäß-Aplasie/Atresie
• Lymphgefäß-Hypoplasie
• Lymphgefäß-Hyperplasie
• Lymphknoten-Fibrose
• Lymphknoten-Agenesie
• „Sekundär benignes Lymphödem“
Nach kurativer onkologischer Therapie (Lymphadenektomie, Radiatio, Chemo).
• „Sekundär malignes Lymphödem“
Bei aktivem Malignom mit Abflussbehinderung durch Primum, Metastase, Lymphangiosis carcinomatosa
• „Sekundär chronisches Lymphödem“
Nach nicht-onkologischen Schädigungen des Lymphtransports (posttraumatisch, postinfektiös, artifiziell, Spätstadium der CVI, u. a.)

Diagnostische Einordnung von peripheren Ödemen und Lymphödemen zur Planung der physikalischen Therapie

Sym¥etrische Ödeme

Symmetrische Ödeme weisen auf eine systemische Ursache hin:
Als Beispiele typischer symmetrischer Ödeme im Rahmen einer systemischen Erkrankung wären zu nennen:
  • Das kardiale Ödem
  • Das nephrogene onkotische Ödem bei nephrotischem Syndrom
  • Das hepatogene Ödem (Dysproteinämie)
  • Das Depenency Syndrom (bei Paraplegie fehlende Gefäß- und Wärmeregulation, fehlende Muskelpumpe)
  • Medikamenteninduzierte Ödeme: werden durch das Auftreten im zeitlichen Zusammenhang mit der medikamentösen Therapieeinleitung beobachtet und sind durch Absetzen der Medikation reversibel.
  • Das zyklisch idiopathische Ödem (Ursache kapilläre Hyperpermeabilität?) mit circadianer Körpergewichtsschwankung >1,4 kg lässt sich durch einen Provokationstest in Orthostase nachweisen. (Földi et al. 2009)
Kap. „Differenzialdiagnose akuter und chronischerExtremitätenschwellungen“ (Gressenberger, Gary).

Asym¥etrische Ödeme

Asymmetrische Ödeme weisen auf eine lokale Ursache hin:
  • Die Tiefe Beinvenenthrombose (TVT) muss wegen der potenziell vitalen Bedrohung bei jeder neu aufgetretenen asymmetrischen Beinschwellung als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen und unverzüglich abgeklärt werden!
    Kap. „Klinisches Bild und diagnostisches Vorgehen bei venösen Thrombosen der unteren Extremitäten“ (Linnemann, B.)
  • Phlebödeme treten bei der chronisch venösen Insuffizienz ab dem Stadium CEAP C3 auf. Kap. „Klinisches Bild und diagnostisches Vorgehen bei chronisch venöser Insuffizienz“ (Schwarz, T. Werth, S.)
  • Postthrombotisches Syndrom: schleichender Beginn, positive TVT Anamnese, häufig als retromalleoläres und prätibiales und subfasziales Ödem, ohne Wadenkompressionsschmerz.
  • Ischämisches Ödem: bei fortgeschrittener PAVK im Stadium III-IV, Ruheschmerz, weiches Ödem, trophische Hautstörungen.
    siehe auch Kap. „Spezielle Pathophysiologie der akuten Ischämie der unteren Extremitäten“ (Baumgartner, I.)
  • Postrekonstruktives Ödem: (z. B. nach fem.pop./crur. Bypass) durch präoperative Kapillarpermeabilitätsstörung und iatrogene Weichteiltraumatisierung; häufig nach Wochen spontan reversibel durch erfolgreiche Mobilisation. (AWMF S3-LL pAVK 2020)
  • Weitere Ursachen asymmetrischer peripherer Ödeme sind im Kap. „Differenzialdiagnose akuter und chronischer Extremitätenschwellungen“ (Gressenberger, Gary) aufgeführt.

Therapie

Generelle therapeutische Erwägungen

Bei peripheren Ödemen muss die Ursache ergründet und kausal behandelt werden, denn mit der erfolgreichen Behandlung verschwindet auch das Ödem als Symptom der zugrunde liegenden Erkrankung. Das heißt, bei der Ödembehandlung selbst erfolgt in diesen Fällen nur die Behandlung eines Symptoms. Zum Beispiel wird ein kardiales Ödem bei erfolgreicher therapeutischer Rekompensation der kardialen Insuffizienz spontan verschwinden, ebenso das onkotische Ödem durch Korrektur der Hypoproteinämie, das Phlebödem durch Sanierung der chronisch venösen Insuffizienz, das orthostatische Ödem durch Remobilisation.
Die physikalische Therapie von Ödemen erfolgt in diesen Fällen nur begleitend zur kausalen Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung, um eine raschere Beseitigung des Symptoms, nämlich die Ödemreduktion zu erreichen. (Partsch und Blaettler 2000; Blaettler und Zimmet 2008)
Physikalische Therapiemaßnahmen wie Manuelle Lymphdrainage (MLD), Bandagierung, Mobilisation, intermittierende pneumatische Kompression (IPK/AIK), Aquatherapie, Elektrotherapie, Gangschule, Nordic Walking, Radfahren, Medizinische Trainingstherapie/Krafttraining, Tiefenoszillation und andere können die Ödemrückbildung beschleunigen.

Allgemeines zur Therapie Peripherer Lymphödeme:

Diagnosesicherung und korrekte Klassifikation sind Voraussetzung für die Planung der Lymphödemtherapie, der „Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie“ (KPE) und deren stadiengerechten Anwendung
Die Diagnose Lymphödem kann ab dem Stadium II (irreversibles Stadium mit zunehmender Fibrosierung) in den allermeisten Fällen klinisch gestellt werden. Dazu dient die lymphologische Basisdiagnostik. Diese besteht aus den drei Säulen: Anamnese – Inspektion – Palpation. Empfehlenswert ist dabei die Verwendung von Checklisten, die verhindern, dass Aspekte der Erkrankung nicht berücksichtigt werden (Ure und Döller 2011).
Im Internet sind diese Checklisten für Anamnese, Inspektion und Palpation im Anhang der AWMF- S2k Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Lymphödeme (ab Seite 89) als pdf abrufbar.
Die 3 Säulen der lymphologischen Basisdiagnostik
Checkliste „Anamnese“: Befragen – Allgemeine Anamnese und Spezielle Ödemanamnese:
Checkliste „Inspektion“: Betrachten – Ödemverteilung, Hautbefund, typische Hautfalteneinziehungen (vertiefte, nicht verstreichbare Hautfalten), Kastenzehen, Papillomatosis cutis lymphostatica, (siehe Abb. 1), Lymphzysten, Lymphfisteln.
Checkliste „Palpation“: Begreifen – Durch den Tastbefund werden Hauttemperatur (im Seitenvergleich), Gewebekonsistenz, Ödemqualität, Lymphknoten- und Gefäßstatus erhoben. Stemmer’sches Zeichen (auch Kaposi/Stemmer-Zeichen): prüfen der Hautfaltenabhebbarkeit über der proximalen Phalanx des zweiten und dritten Strahls. (Stemmer 1979)
Für eine stadiengerechte Therapie ist nun die korrekte Klassifikation des Lymphödems nötig. Das bedeutet, erst nach Beurteilung des Lymphödemstadiums soll die Entscheidung über die Einleitung einer ambulanten Therapie oder über die Zuweisung zur stationären Therapie getroffen werden.
Stadien des Lymphödems
  • Stadium O: Keine Schwellung, aber pathologisches Lymphszintigramm („Latenzstadium“);
  • Stadium I: Ödem von weicher Konsistenz, Hochlagern reduziert die Schwellung; („spontan reversibles Stadium“)
  • Stadium II: Ödem mit sekundären zunehmenden Gewebsveränderungen, Hochlagern ohne Wirkung; („spontan irreversibles Stadium“) (siehe Abb. 2)
  • Stadium III: harte Schwellung, häufig lobuläre Form – „deformierendes Stadium III“ mit typischen Hautveränderungen (früher abfällig als „Elephantiasis“ bezeichnet). (Kaiserling 2010)
Nur wenn durch die klinische Basisdiagnostik eine Diagnosestellung oder eine eindeutige Klassifizierung des Lymphödems nicht möglich ist, wird die bildgebende Zusatzdiagnostik notwendig (z. B.: bei Lymphödemen im Frühstadium ohne Fibrosierungszeichen, oder bei ödeminduzierenden, bzw. aggravierenden Komorbiditäten). Die erweiterte apparative und bildgebende Lymphödemdiagnostik ist im Kap. „Klinisches Bild und diagnostisches Vorgehen bei Erkrankungen des Lymphgefässystems“ (Wagner, S.) ausgeführt.
Vor Beginn der Therapie sind schließlich vier Aspekte zu klären:
  • Ist die Diagnose gesichert?
  • sind Komorbiditäten abgeklärt/behandelt?
  • gibt es Kontraindikationen für die KPE?
  • ist die Therapie ambulant möglich oder stationär nötig?
Kontraindikationen der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie sind im Folgenden aufgeführt:
Absolute Kontraindikationen sind die dekompensierte Herzinsuffizienz, die akute tiefe Beinvenenthrombose, das floride Erysipel und die periphere arterielle Verschlusskrankheit mit kritischer Extremitätenischämie (Stadium III und IV nach Fontaine).
Als relative Kontraindikation werden das maligne Lymphödem, die PAVK Stadium in den Fontaine-Stadien I und II sowie entzündliche Dermatosen angesehen. Zusätzlich gibt es noch lokale Kontraindikationen (z. B. für Lymphdrainagegriffe am Hals bei Hyperthyreose und Carotis-Sinus-Syndrom).
Eine Modifikation der Therapie erfolgt unter Berücksichtigung von Alter und Begleiterkrankungen, bei Multimorbidität, bei posttraumatischen und postoperativen Ödemen sowie in der Palliativsituation beim malignen Lymphödem (Leduc et al. 2011; Földi 2012).

Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE)

Der Goldstandard in der Lymphödem-Therapie ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE), (im englischsprachigen Raum „Complete Decongestive Therapy“ -CDT). Sie ist die kausale, nebenwirkungsfreie Therapie des Lymphödems, sofern die unter 3.2. aufgeführten Kontraindikationen beachtet und eventuelle Komorbiditäten abgeklärt und mitbehandelt werden. Bei konsequenter und fachlich kompetenter stadiengerechter Anwendung kann man mit diesen Maßnahmen einen optimalenTherapieerfolg erreichen. Die KPE besteht aus 2 Phasen, wobei in der Phase 1 (Entstauungsphase) die Mobilisierung der vermehrten interstitiellen Flüssigkeit und eine Fibroselockerung erreicht werden sollen.
In der Phase 2 (Erhaltungsphase) wird der erreichte Therapieerfolg konserviert und nach Möglichkeit weiter optimiert (Consensus Document of the International Society of Lymphology 2013).
Die Entscheidung, ob eine ambulante Therapie möglich oder eine stationäre Therapie nötig ist, muss im Einzelfall getroffen werden. Als Einflußfaktoren für die Entscheidung gelten das Lymphödemstadium, die Lokalisation des Lymphödems, Komorbiditäten und das Alter des Patienten.
Bei gleichzeitig bestehendem Chylothorax, Chyloperikard, eiweißverlierender Enteropathie, bei Kopf- und Genitallymphödemen, bei ausgeprägten Lymphzysten/Lymphfisteln, sowie bei gravierenden Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz, pAVK, ausgeprägter Neuropathie, ist eine Therapie unter stationärer Observanz erforderlich (Wu et al. 2016; Al-Busafi et al. 2014; Wen et al. 2011).
Die Therapieziele der KPE sind:
  • Die Hautsanierung,
  • Die Ödem- und Volumenreduktion,
  • Die Reduktion der Fibrose,
  • Die Steigerung der Gelenksbeweglichkeit,
  • Die Schulung der Patienten/Angehörigen im Selbstmanagement, im richtigen Umgang mit der Kompressionsversorgung, der Selbstbandage und der Entstauungsgymnastik.
Weitere Ziele sind die Prophylaxe von Spätkomplikationen wie Hyperkeratosen, Papillomatosis cutis lymphostatica, die maligne Entartung („Stewart-Treves Syndrom“) (Wendt et al. 1988; Enzinger und Weiß 2001) und das Vermeiden von Hautinfektionen durch Pilze oder Bakterien (Erysipel) (Dupuy et al. 1999).
Kap. „Lymphangitis und Erysipel“ (Dissemond, J.)
Im Fall einer stationären lymphologischen Rehabilitationsbehandlung erfolgt eine 3-wöchige intensive tägliche „Phase 1“ der Komplexen Physikalischen 2-Phasen Entstauungstherapie.
Diese Phase 1 umfasst die 5 Säulen der KPE:
1)
Hautsanierung/Hautpflege,
 
2)
Manuelle Lymphdrainage (MLD), eine spezielle Grifftechnik mit Dehnungsreiz auf Cutis und Subcutis zur Steigerung der Lymphangiomotorik mit konsekutiver Reduktion des pathologisch erhöhten interstitiellen Flüssigkeitsgehaltes und zusätzlich Verminderung der Gewebsindurationen.
 
3)
Kompressionsbandagierung mit Multilayer Verbänden, (siehe Abb. 3)
 
4)
Entstauungsgymnastik im bandagierten Zustand,
 
5)
Schulung/Empowerment der Patienten zur Selbstbehandlung.
 
Zusätzlich ist bei der stationären Rehabilitation verpflichtend eine psychologisch supportive Begleitung anzubieten. Laut Studiendaten sind ca 65 % aller untersuchten Patienten zum Aufnahmezeitpunkt psychisch belastet und benötigen eine psychologische Begleittherapie (Flaggl et al. 2006, 2010; Jäger et al. 2006).
Am Ende der „Phase 1“ der KPE erfolgt im entstauten Zustand die Anpassung von Kompressionsstrümpfen, wobei die Art und Stärke der Kompression (CCL I-IV) individuell festgelegt wird. Da bei der Kompressionsversorgung von Lymphödemen hohe Kompressionsdrücke erforderlich sind und die Form der Extremität häufig von der Norm abweicht, kommen fast ausschließlich maßgefertigte, flachgestrickte Kompressionsstrümpfe zur Anwendung.
Eine wesentliche Voraussetzung für den Therapieerfolg in dieser nun beginnenden „Phase 2“ der KPE (Erhaltungs- und Optimierungsphase) ist die Auswahl des Strumpfes und der für die Indikation geeigneten Kompressionsstärke.
Bei der Versorgung von Beinlymphödemen kommen häufig Strümpfe der Kompressionsklasse 3 (34–46 mmHg) oder Klasse 4 (>46 mmHg) zur Anwendung. Eine mehrteilige Versorgung (z. B.: Vorfuß-Zehnkappen/Unterschenkelstrumpf/Caprihose) in hoher Kompressionsklasse ist leichter anzulegen und erhöht somit die Patientencompliance.
Kompressionsstrümpfe werden nur untertags angewendet, nachts wird bandagiert. Hierfür werden die gleichen Multilayer Verbände mit Kurzzugbinden und darunter Watte- oder Schaumstoffpolsterung angewendet, wie in der oben angeführten Phase 1 der KPE. Eine neu auf den Markt gekommene, alternative Nachtversorgung mit Velcro-Klettsystemen ist ein weiterer wesentlicher Schritt zur Erleichterung des Selbstmanagements und zur besseren Patientencompliance.
Die ambulante Therapie erfolgt einerseits bei milder Ausprägung der Extremitätenlymphödeme (Stadium I-II) zur Vermeidung einer Befundverschlechterung.
Bei ausgeprägten Lymphödemen andererseits wird die ambulante Therapie auch nach der stationären Behandlung eingesetzt.
Das heißt, in der Phase 2 (Erhaltungs- und Optimierungsphase) im Anschluss an eine erfolgreiche stationäre Entstauung dient diese ambulante Therapie zur langfristigen Stabilisierung des Therapieerfolgs. Die einzelnen Komponenten der ambulanten KPE werden im Falle einer Befundverschlechterung (Ödem und/oder Fibrosezunahme) individuell adaptiert angewendet oder es wird eine neuerliche stationäre Rehabilitation zur intensiven Entstauungstherapie veranlasst (Földi et al. 2009).

Zusätzliche Therapiemaßnahmen zur Ödemreduktion

Intermittierende Pneumatische Kompression
Die intermittierende pneumatische Kompression (IPK) oder auch apparative intermittierende Kompression (AIK) genannt, wird als additive Therapiemaßnahme sowohl beim Lymphödem, als auch bei Ödemen verschiedenster Ursache zur rascheren Ödemreduktion angewendet. (siehe Abb. 4) Weitere Anwendung findet sie auch zur Thromboembolieprophylaxe bei immobilisierten Patienten mit Kontraindikation gegen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe, zur positiven Beeinflussung der Heilungsrate und der Abheilungszeit beim Ulcus cruris, sowie zur Schmerzreduktion und Entödematisierung. Das Funktionsprinzip ist die apparative Applikation pneumatischer Wechseldrücke, durch ein „melkendes Prinzip“ wird Gewebsflüssigkeit in Richtung der Gliedmassenwurzel verdrängt. Der Einsatz erfolgt sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. Bei der Behandlung von Lymphödemen ist die IPK aber ungeeignet als alleinige Entstauungsmaßnahme, sie ersetzt keine manuelle Lymphdrainage, da hier die Gefahr der Provokation von Genitallymphödemen besteht (Boris et al. 1998).
Je nach Applikationsort gibt es verschiedene Ausführungen der Kompressionsmanschetten, wie zum Beispiel Fuß- und Unterschenkelmanschetten, Extremitätenmanschetten (für Beine oder Arme), Hosen- und Jackenmanschetten. Durch die Steuereinheit wird wellenförmig mit definierter Druckstärke über die doppelwandigen Manschettenkammern Druck auf das darunter liegende Gewebe ausgeübt. Für die Möglichkeiten des IPK-Gerätes ist vor allem die Leistung des Steuergerätes entscheidend, um eine unterschiedliche Anzahl und Dauer von Druckstufen und Druckwellen zu erzielen (AWMF S1 LL- IPK 2018).
Die IPK kann additiv als adjuvante Therapieform zur KPE bei distal betonten Extremitätenlymphödemen ohne Mitbeteiligung des angrenzenden Rumpfquadranten angewendet werden.
Kontraindikationen für die Anwendung der IPK sind die dekompensierte Herzinsuffizienz, die akute tiefe Venenthrombose und akute Thrombophlebitis, das Erysipel, Phlegmone, Kompartmentsyndrom, die nicht eingestellte arterielle Hypertonie.
Tiefenoszillation
Mit Hilfe eines gepulsten elektrostatischen Feldes, welches sich zwischen dem Applikator oder der Hand des Therapeuten und dem Patienten aufbaut und in einem Frequenzbereich von 5 bis 250 Hertz arbeitet, lässt sich ein ödemreduzierender und schmerzreduzierender Effekt erzielen (Teo et al. 2016; Boisnic und Branchet 2013; Kashilska et al. 2015).
Additive Physiotherapie
Begleiterkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates können sowohl das Lymphödem, als auch Ödeme verschiedener anderer Ursache negativ beeinflussen. Daher sind besonders in diesem Fall gezielte physiotherapeutische Begleitmaßnahmen (siehe Abb. 5) erforderlich (Brenke et al. 2010).
Zu den vielfältigen Therapiemöglichkeiten zählen Aquatherapie, Elektrotherapie, Gangschule, Nordic Walking, Radfahren, Medizinische Trainingstherapie/Krafttraining, Atemtherapie nach Middendorf, propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF) (Forster und Sonderegger 2010).
Für Lymph-Taping, Thermotherapie, oder Softlaser liegen im Gegensatz zu den oben angeführten Maßnahmen derzeit keine belastbaren Daten über einen Wirksamkeitsnachweis vor.
Literatur
Guidelines
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