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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 07.02.2020

Maxillomandibuläre Osteotomie

Verfasst von: Walter Hochban
Es handelt sich um operative Verfahren und Techniken zur (Vor-)Verlagerung von Ober- und Unterkiefer mit dem Ziel der Erweiterung des Pharyngealraums und zur Stabilisierung der oberen Atemwege. Sie wurden zum Teil bereits vor 50 Jahren zur Korrektur von Fehlbisslagen bei Kieferfehlstellungen, den sogenannten Dysgnathien, entwickelt und sind zwischenzeitlich nur gering modifiziert worden.

Synonyme

MMO

Englischer Begriff

maxillomandibular osteotomy

Definition

Es handelt sich um operative Verfahren und Techniken zur (Vor-)Verlagerung von Ober- und Unterkiefer mit dem Ziel der Erweiterung des Pharyngealraums und zur Stabilisierung der oberen Atemwege. Sie wurden zum Teil bereits vor 50 Jahren zur Korrektur von Fehlbisslagen bei Kieferfehlstellungen, den sogenannten Dysgnathien, entwickelt und sind zwischenzeitlich nur gering modifiziert worden.
Siehe auch „Kiefer- und gesichtschirurgische Verfahren zur Therapie der Obstruktiven Schlafapnoe“.

Voraussetzungen

Vor Erwägung operativer Maßnahmen muss das Vorliegen obstruktiver Schlafbezogener Atmungsstörungen gesichert sein. Eine vorangehende Behandlung mit „CPAP“ ist sinnvoll, um zu überprüfen, inwieweit sich darunter die Atmungsstörungen sowie Symptome zurückbilden, und um die pathophysiologischen Folgen der Schlafapnoe wie arterielle Hypertonie präoperativ zu mildern.

Indikationen

Das eigene hier propagierte Behandlungskonzept sieht zur chirurgischen Behandlung von Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe (OSA; siehe „Obstruktive Schlafapnoe“) primär eine simultane Vorverlagerung von Ober- und Unterkiefer vor – nach entsprechender Indikationsstellung gemäß den kephalometrischen Kriterien (siehe Abb. 2 und 3 im Essay „Kiefer- und gesichtschirurgische Verfahren zur Therapie der Obstruktiven Schlafapnoe“). Sie gelten einerseits für den retrognathen Gesichtstyp mit mandibulärer und/oder maxillärer Retrognathie, beispielsweise mit einem Winkel von <77° zwischen Punkt S-N-B als Maß für die sagittale Relation des Unterkiefers, oder aber für einen vertikalen, dolichofazialen Gesichtstyp mit entsprechendem Steilstand des Unterkieferplanums, beispielsweise mit einem Winkel ML-NSL >34°. Bei fast allen Patienten mit diesen kraniofazialen Charakteristika besteht damit einhergehend eine messbare pharyngeale Obstruktion vorzugsweise im Zungengrundbereich mit einem „posterior airway space(PAS) <10 mm. Diskutiert wird gelegentlich bereits eine alleinige Einengung des Pharynx mit PAS <10 mm als Indikation zur chirurgischen Behandlung durch Ober- und Unterkieferosteotomie. Beim eugnathen Gebiss wird die bestehende Bisssituation erhalten, bei dysgnathen Bissverhältnissen sollte eine gleichzeitige Korrektur der Bisslage mit angestrebt werden. Nach eigenen bisherigen Erfahrungen sollte das Ausmaß der Ober- und Unterkiefervorverlagerung in einer Größenordnung von 10 mm liegen, um einen ausreichenden Effekt zu erzielen. Als Nebeneffekt ergibt sich durch die „Normalisierung“ der skelettalen Verhältnisse auch eine Harmonisierung des Gesichts und somit eine Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes (Abb. 1).

Kontraindikationen

Kontraindikationen sind neben Adipositas per magna „Zentrale Schlafapnoesyndrome“, Schlafbezogene Hypoventilations- und Hypoxämiesnydrome oder auch eine gemischte Obstruktive Schlafapnoe mit überwiegend zentralen Ereignissen ebenso wie fortgeschrittene Obstruktive Schlafapnoe mit Herzinsuffizienz und einer arteriellen Hypertonie, die sich unter nCPAP nicht zurückbildet. Keineswegs sollte die chirurgische Therapie unselektiert als Ultima Ratio bei therapierefraktären Fällen propagiert werden, bei denen alle anderen Therapieverfahren gescheitert sind.

Durchführung

Die Vorverlagerung des Unterkiefers erfolgt in der Regel durch beidseitige retromolare sagittale Osteotomie, modifiziert nach Obwegeser-Dalpont, die Vorverlagerung des Oberkiefers erfolgt nach Osteotomie auf Le-Fort-I-Ebene. Dabei handelt es sich um Standardverfahren der Dysgnathiechirurgie, die vor Jahrzehnten entwickelt und deren experimentelle Grundlagen vor 30–40 Jahren erforscht und in einschlägigen Lehrbüchern detailliert dargestellt wurden. Die Fixation der Segmente erfolgt im Oberkiefer durch Miniplattenosteosynthese, im Unterkiefer durch bikortikale Minischraubenosteosynthese unter Erhalt der bisherigen Kiefergelenksposition (Abb. 2). Unterstützt werden kann der Effekt der Vorverlagerung durch eine zusätzliche Kinnosteotomie. Sofern notwendig, bietet sich die gleichzeitige Korrektur der Nasenscheidewand bei anatomisch bedingter Behinderung der Nasenatmung im Zuge der Le-Fort-I-Osteotomie unmittelbar an.
Die Oberkieferosteotomie selbst führt schon zu einer Verbesserung der Nasenatmung durch Beeinflussung der Nasenklappenfunktion. Die am Kiefer ansetzenden Muskeln, Sehnen und Bänder der oberen Atemwege werden mit vorgezogen und gestrafft, damit einher geht eine entsprechende Veränderung der Pharynx- und Gaumenmuskulatur, der suprahyoidalen Muskulatur und der Zungenmuskulatur, die zur Erweiterung und Stabilisierung der kollapsiblen oberen Atemwege führen. Welche Mechanismen im Einzelnen für die Beseitigung der Obstruktion wirksam werden, ist derzeit noch ungeklärt.

Komplikationen

Die Komplikationen und Risiken dieser Eingriffe sind im Rahmen der Dysgnathiechirurgie hinreichend untersucht und beschrieben. Schlafapnoe-spezifisch muss das erhöhte Operationsrisiko berücksichtigt werden aufgrund der zumindest bei schwerer Schlafapnoe ausgeprägten pathophysiologischen Folgen wie arterielle Hypertonie. Andererseits ist der Eingriff sofort postoperativ wirksam. Angesichts der gegenüber Dysgnathien meist erheblich ausgeprägten Verlagerung der Kiefer muss im Oberkiefer bei Patienten mit Obstruktiven Schlafapnoesyndromen (OSAS, siehe „Obstruktive Schlafapnoe“) möglicherweise eher mit Ossifikationsstörungen gerechnet werden. Hauptproblem ist wahrscheinlich der Nervus alveolaris inferior des Nervus mandibularis, der infolge der erheblichen Unterkiefervorverlagerung sehr stark gedehnt wird, sodass in erheblich größerem Maße, nämlich in ca. 35 % der Fälle, mit lang anhaltenden Gefühlsstörungen der Unterlippe in Form von Hyp- und Parästhesien gerechnet werden muss.

Nachsorge

Auch wenn der Therapieerfolg direkt nach dem Eingriff auftritt, sollte die definitive postoperative Therapiekontrolle durch Kardiorespiratorische Polysomnographie erst nach 6 Wochen vorgenommen werden, wenn die Osteotomien knöchern konsolidiert und die unmittelbaren operativen Schwellungen abgeklungen sind. Sekundäre Korrekturen sollten, soweit überhaupt erforderlich, erst nach der Stabilisierung der primären Korrekturen nach etwa 3 Monaten erfolgen. Regelmäßige polysomnographische Kontrollen nach 1, 3 und 5 Jahren sowie nach 10 Jahren sind anzustreben.

Zusammenfassung, Bewertung

An 115 ausgewählten Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe und Malformationen des Viszerokranium, die zu Obstruktiver Schlafapnoe prädisponieren, wurde eine chirurgische Therapie mittels operativer Korrektur des Gesichtsskeletts durchgeführt. In den meisten Fällen konnten auch Nachuntersuchungen zur Beurteilung des mittelfristigen Therapieerfolgs über einen mehrjährigen Zeitraum durchgeführt werden. Die Qualität der erreichten Behandlungsergebnisse liegt in der Größenordnung der Erfolge von nCPAP-Therapie bei Obstruktiver Schlafapnoe. Sie ist auch mit den Fallserien und Ergebnisberichten anderer kiefer- und gesichtschirurgischer Arbeitsgruppen vergleichbar. Weichteilchirurgischen Eingriffen mit Ausnahme der Tracheotomie sind die eigenen operativen Ergebnisse eindeutig überlegen. Angesichts der bisher in Fallserien mit dem gut standardisierten Therapieverfahren der maxillomandibulären Osteotomie dokumentierten therapeutischen Erfolge und angesichts der Perspektive einer kurativen Therapie besteht dringender weiterer Forschungsbedarf. Es sollten kontrollierte Studien mit höheren Evidenzgraden als Fallserien angestrebt, die Indikationsstellung sollte optimiert und die entscheidenden Pathomechanismen müssen besser erforscht werden.
Literatur
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