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Chronisches familiäres Granulomatosesyndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Chronisches familiäres Granulomatosesyndrom.
Synonyme
Chronisch-septische frühkindliche Granulomatose; Dysphagozytose-Sy; engl. „chronic granulomatous disease, progressive septic granulomatosis, fatal granulomatous disease of childhood“
Oberbegriffe
Immunschwäche, chronische Infektionskrankheit.
Organe/Organsysteme
Lymphatisches System, Lungen, Atemwege, Haut, Gastrointestinaltrakt.
Inzidenz
1:1 Mio., Androtropie.
Ätiologie
Hereditär mit überwiegend X-chromosomalem (65 %), teilweise autosomal-rezessivem (34 %) Erbgang (seltener autosomal-dominant) und mit variabler Ausprägung. Bei der gonosomalen Form können Frauen symptomlose Konduktorinnen sein. Der Pathomechanismus beruht auf einer Verminderung der NADPH-vermittelten intrazellulären Bakterienabwehr der Neutrophilen und Monozyten. Diese verbreiten die phagozytierten (katalasepositiven) Erreger im Organismus, ohne sie vernichten zu können, da keine bioziden O2-Metaboliten gebildet werden können. Als Ausdruck der chronischen Inflammation bilden sich Granulome. Das übrige Immunsystem arbeitet normal und es gibt deswegen keine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber viralen Infekten.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Immundefekt-Ss, Tuberkulose (M. Koch), Garré-Sy, atypische septische Granulomatose mit IgA-Mangel, Sarkoidose, Kartagener-Sy, Hyper-IgE-Sy, DiGeorge-Sy, Nezelhof-Sy, Wegener-Granulomatose, Goodpasture-Sy, Hodgkin-Sy., AIDS, Cystische Fibrose.

Symptome

Häufig rezidivierende, langwierige Infektionen (Bakterien/Pilze), granulomatöser Befall diverser Organe (Lungen: Bronchiektasen, Empyem, Fibrose, Bronchopneumonie; Skelett: Osteomyelitis; Strikturen im Gastrointestinaltrakt und in den Harnwegen; Abszesse in Lymphknoten und allen parenchymatösen Organen), Fieber, Kieferhöhleninfekte (Sinusitiden), Hirnabszess, Hepatosplenomegalie, Leberabszess.
  • Labor: mäßige Leukozytose, γ-Globuline normal, Anämie, Albuminmangel.
  • Mikrobiologischer Nachweis: Blutkulturen sind meist negativ, jedoch fallen Abszesspunktate positiv aus.
  • Typische Erreger sind Staphylokokken (Staphylococcus aureus), Pseudomonas, Aspergillus, Nocardia.
  • Diagnostischer Nachweis: biochemische Granulozyten-Funktionsuntersuchungen.
Vergesellschaftet mit
Typisch sind die Sekundärfolgen der häufigen Infekte: restriktive und obstruktive Lungenerkrankung, chronisch-progressive Niereninsuffizienz (aufgrund von Strikturen, nephrotoxischen Antibiotika, Amyloidose), Hepatomegalie (95 %).
Therapie
Chirurgische Herdsanierung (Exzision, Débridement, Drainage), antibiotische Dauerprophylaxe (Trimethoprim, Aminoglykoside, Antimykotika), Steroide, 5-ASA-Entzündungshemmer, Azathioprin, Interferon, Knochenmarktransplantation + Chemotherapie. Noch experimentell: Gentherapie.

Anästhesierelevanz

Von besonderer anästhesiologischer Relevanz sind die aktuelle Lungenfunktion, die Nierenfunktion und ein eventueller Befall des Nervensystems.
Spezielle präoperative Abklärung
Thoraxröntgenaufnahme (2 Ebenen), Lungenfunktion, Blutgasanalyse, Differenzialblutbild, Nierenfunktionsparameter (Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte im Serum und Harn, Clearencebestimmungen), neurologischer Ausgangszustand.
Bei Skelettbefall Untersuchung der Wirbelsäule auf osteomyelitische Herde.
Wichtiges Monitoring
Pulsoxymetrie, Kapnographie, Volumetrie. Bei reduzierter Nierenfunktion häufige Kontrollen des Elektrolyt- und Säure-Basen-Status.
Vorgehen
Aufgrund der Kontaminationsgefahr im Rückenmarkbereich sind rückenmarknahe Regionalanästhesien in der Regel nicht indiziert. Allgemeinanästhesien erfordern einen hohen Grad an Aufmerksamkeit für pulmonale Probleme. Sowohl bei thorakalen Eingriffen als auch bei unilateralen Lungenabszessen empfiehlt sich die Intubation mit doppellumigen Tuben; sie erlauben eine seitengetrennte Bronchialtoilette. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein Mindestalter, ab welchem solche Tuben eingesetzt werden können. Ferner sollte die Gelegenheit der Intubationsnarkose für eine fiberbronchoskopische Exploration und Reinigung der Atemwege genutzt werden.
Spezielle Probleme und besondere technische Anforderungen ergeben sich aus den anderen Organerkrankungen: bei Osteomyelitis Lagerungsprobleme, bei Niereninsuffizienz Eliminationsverzögerung von Anästhetika, Elektrolytentgleisung, Volumenüberlastung, Anämie etc. Sie machen eine Anpassung des anästhesiologisches Vorgehens und des Monitorings notwendig. Bei Strikturen im Bereich des Gastrointestinaltrakts ist mit einer verzögerten Magenentleerung zu rechnen (Aspirationsgefahr!). In diesem Fall empfiehlt sich eine „rapid-sequence induction“ und eine entsprechende Prämedikation. Harnröhrenstrikturen können das Legen eines Blasenkatheters erschweren.
Invasive Kathetertechniken (ZVK) sollten auf das unentbehrliche Mindestmaß begrenzt werden.
Bei allen invasiven Eingriffen (z. B. Endoskopien, Lungenbiopsien etc.) sollte über 24 Stunden eine antibiotische Prophylaxe mit z. B. Ciprofloxacin, bei Eingriffen unterhalb des Zwerchfells kombiniert mit Metronidazol durchgeführt werden.
Bestimmten Untergruppen von chronischer familiärer Granulomatose fehlt das Kell-Blutgruppenantigen. Die Bereitstellung verträglicher Blutkonserven kann daher aufwändiger sein.
Cave
Rückenmarknahe Katheteranästhesien, bronchogene Kontamination.
Weiterführende Literatur
Burg G, Kunze J, Pongratz D et al (Hrsg) (1990) Leiber – Die klinischen Syndrome, Bd 1, 7. Aufl. Urban & Schwarzenberg, München, S 293
Leiding JW, Holland SM (2016) Chronic granulomatous disease. In: Pagon RA, Adam MP, Ardinger HH et al (Hrsg) GeneReviews® (Internet). University of Washington, Seattle, S 1993–2018
Miller FL, Mann DL (1990) Anesthetic management of a pregnant patient with the hyperimmunoglobulin E (Job’s) syndrome. Anesth Analg 70:454–456PubMed
Wall RT, Buzzanell CA, Epstein TA, Malech HL, Melnick D, Pass HI, Gallin JI (1990) Anesthetic considerations in patients with chronic granulomatous disease. J Clin Anesth 2:306–311CrossRef