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AE-Manual der Endoprothetik
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Publiziert am: 03.06.2023

Postoperative Maßnahmen und Ergebnisse: Langzeitergebnisse nach Hüftprimärendoprothetik

Verfasst von: Karl-Dieter Heller
Die Standzeit einer Hüftendoprothese hängt maßgeblich von 3 Faktoren ab: der Endoprothese selbst, im Sinne von Material, Verankerungstechnik und Gleitpaarung, dem Operateur und dem operativen Prozess sowie vom Alter und der Konstitution des Patienten. Natürlich interessiert es den Patienten, der zur Hüfttotalendoprothesenimplantation ansteht, wie lange seine Prothese voraussichtlich halten wird. Diese Frage kann zum jetzigen Wissenstand aufgrund der multifaktoriellen Situation jedoch nur vage beantwortet werden. Die heute berichteten Revisionsraten beruhen auf Implantaten, welche vor vielen Jahren eingesetzt wurden. Die Indikation zur Endoprothese hat sich in den vergangenen Dekaden deutlich verändert, lag früher die Schmerzreduktion im Vordergrund, so geht es heute zusätzlich um Lebensqualität, Mobilität und Sportausübung.
Mit dem Themenkomplex Langzeitergebnisse beschäftigen sich zahlreiche Publikationen. Zwei sind in diesem Zusammenhang besonders betrachtenswert. Die eine stammt von Learmonth und Mitarbeiter (2007) und bezeichnet die Hüftendoprothese als die Operation des Jahrhunderts. Die andere von Evans und Mitarbeitern (2019), welche sich mit dem Thema der Langzeitstandzeit von Hüftendoprothesen beschäftigt. Es handelt sich hier um ein systematisches Review und eine Meta-Analyse von Fallserien und den Auswertungen der Nationalen Register mit mehr als 15 Jahren Beobachtungszeitraum. Wenn man dem Patienten heute Angaben hinsichtlich der möglichen Standzeit seiner Hüfttotalendoprothese macht, dann beruhen diese auf Techniken und Materialien, die vor mehr als 15–20 Jahren eingesetzt wurden.

Indikation im Wandel

Morris E. Müller bezeichnete die Hüftendoprothetik wie folgt: „Unreliable and often bad results of arthroplasty justify every effort to preserve the joint …“ Das hörte sich bei Katz 2001 bereits ganz anders an: Er bezeichnete die Hüftendoprothetik wie folgt: „Joint replacement is one of the most cost effective procedures in the whole of medicine …“.
Dies gipfelt in der oben bereits zitierten Arbeit von Learmonth et al., der die Hüfttotalendoprothese als die Operation des 20. Jahrhunderts anpreist. Er konstatiert, dass moderne Technik Großes leistet und dass qualitativ hochwertigste Implantate existieren. Das jeweilige Gesundheitssystem würde vorgeben, was leistbar und was kosteneffektiv sei. Waren in der frühen Phase der Hüfttotalendoprothetik die Indikationen eher limitiert auf alte und kranke Patienten, so ist die Indikation heute beeinflusst durch die Lebensqualität. Patienten suchen „High Performance Hips“, um ihre Erwartungen zu erfüllen (Learmonth et al. 2007). Die Hüft-TEP von gestern wurde bei einem fügsamen Patienten zur Schmerzreduktion eingesetzt mit dem Ziel, normal zu gehen, die tägliche Routine abzuwickeln. Heutzutage beschäftigen wir uns mit informierten Patienten, die zwingend Lebensqualität und Schmerzfreiheit erwünschen, ihren Sport wieder ausführen wollen und am liebsten für immer jung bleiben wollen. Die Hüftpatienten haben sich verändert, sie haben Zugang zur Information, es zeigt sich ein zunehmender Wohlstand, eine höhere Aktivität und eine langsamere Alterung, auch höherbetagte Patienten kommen noch in den Genuss einer Endoprothese (Abb. 1). Aktuell wird eine partizipative Entscheidungsfindung angestrebt. Der Arzt zeigt die verschiedenen Behandlungsansätze und der Patient wird aktiv mit in die Entscheidung mit einbezogen (Abb. 2).

Entwicklung der Endoprothetik

Betrachten wir die Historie der Endoprothetik, so war die erste Phase von 1960 bis 1980 geprägt durch klassische zementierte Hüfttotalendoprothesen, angeführt von Sir John Charnley. Die erste Generation zementfreier Prothesen kam zwischen 1970 und 1980, sämtlich Prothesen, die mittlerweile nicht mehr implantiert werden. Diese wurden gefolgt von der zweiten Generation zementfreier Hüfttotalendoprothesen, von 1980 bis 1990, vornehmlich Gradschäfte, die nahezu allesamt heute noch als Standardendoprothesen eingesetzt werden, wie z. B. Taperlock, Zweymüller, Bicontact und Corail.
1990 bis 2000 widmete man sich den Gleitpaarungen und der Navigation. Wesentliche Entwicklungen waren moderne Keramiken und ultrahochvernetztes Polyethylen, welche eine wesentliche Verbesserung des Abriebverhaltens mit sich brachten und die moderne Endoprothetik prägen.
Erste hochvernetzte Polyethylene kamen 1998 auf den Markt. Dies verdeutlicht, dass die derzeitigen 25 Jahre Ergebnisse der Hüftendoprothetik mit Materialien der damaligen Zeit erzielt wurden, die heute zum größten Teil gar nicht mehr eingesetzt werden.
Die jetzigen Ergebnisse spiegeln die Qualität der Endoprothetik sowie die Qualität der Endoprothesen von vor 25 Jahren wider.
In der Phase 2000 bis 2010 widmete sich die Hüftendoprothetik vornehmlich den minimalinvasiven Zugängen und der Kurzschaftendoprothetik, zahlreiche Kurzschäfte wurden entwickelt, die mittlerweile z. T. schon wieder nicht mehr auf dem Markt sind. All dies soll zeigen, dass in einer Bewertung der Langzeitergebnisse der Hüfttotalendoprothetik viele Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Das gipfelt darin, dass Morlock und Mitarbeiter die Frage stellen, brauchen wir ein Benchmarking für Implantate in Deutschland (Morlock et al. 2021). Die Autoren halten zusammenfassend fest, dass ein reines Implantat-Benchmarking die Patientenversorgung der Zukunft nicht maßgeblich verbessern wird. Sie fordern ein Benchmarking des gesamten Prozesses des endoprothetischen Gelenkersatzes (Abb. 3).

Register

Beschäftigt man sich differenzierter mit den unterschiedlichen Endoprothesenregistern, denen in diesem Manual ein eigenes Kapitel (Kap. „Postoperative Maßnahmen und Ergebnisse: Endoprothesenregister“) gewidmet ist, so zeigen sich für nahezu gleichwertige Produkte deutlich unterschiedliche Ergebnisse, die sich in der Langzeitbeobachtung der Hüftendoprothesen darstellen.
Im Australischen Register weisen die Kurzschäfte, welche laut EPRD zu den erfolgreichsten Prothesentypen gehören, eine leicht erhöhte Lockerungs- und Frakturrate auf. Dies mag anwendungsbedingt, kann aber auch prothesenspezifisch sein. Ebenso sieht man im Australischen Register über einen Verlauf von 18 Jahren, dass die Polyethylenqualität einen maßgeblichen Einfluss auf die Revisionsrate hat. Hoher Abrieb verursacht eine frühere Lockerung und langfristig auch eine späte Dislokation. Beim vorderen Zugang berichtet das Australische Register eine erhöhte Frakturrate, insbesondere im Rahmen der Learning Curve, und eine erhöhte Lockerungsrate. Bei gleichem Zugang ist jedoch die Infektrate im Australischen Register geringer als im EPRD, was möglicherweise mit einer Selektion zu tun hat. Das EPRD ermöglicht eine diesbezüglich differenzierte Analyse und setzt diese auch zunehmend ein. Dennoch ist das EPRD zu jung um von Langzeitergebnissen zu sprechen.
Fakt ist, dass das höchste Risiko der Revision in den ersten beiden Jahren nach der Operation besteht. Die Hauptgründe für frühes Versagen sind Infektionen, Lockerungen, Luxationen und die periprothetische Fraktur. Auch das Alter, der BMI und der ASA-Score zeigen hierbei einen signifikanten Einfluss.
Die Register sind oft wegen fehlender Angaben nicht in der Lage, eine Risikoadjustierung für diese Parameter vorzunehmen. Dies sei an zwei Beispielen verdeutlicht:

Junger Patient

Während es beim älteren Patienten etablierte Standards gibt, besteht beim jüngeren Patienten eine relative Unsicherheit bezüglich Gleitpaarung und Schafttyp. Ursächlich hierfür sind höhere Ansprüche und eine höhere Lebenserwartung. Es ist bekannt, dass Abrieb und Osteolysen insbesondere bezüglich der Revision einen hohen Stellenwert haben, ebenso zeigen die Register ganz klar, dass die Endoprothetik beim jungen Patienten schlechtere Ergebnisse zeigt, was wiederum an den üblicherweise höheren Belastungen liegt. Diese führt letztendlich zu einer höheren Rate an mechanischen Versagern. Dies wird auch vom Nordischen Register bestätigt, welches eine deutlich höhere Revisionsrate beim jungen Patienten unabhängig von der Verankerungstechnik angibt (Havelin et al. 2019).
Betrachtet man unter diesem Aspekt den Abrieb der Gleitpaarungen, so ist sicherlich die Keramik-Keramik-Gleitpaarung, wenn man einmal die oft durch falsche Handhabung bedingte Frakturen des Inlays oder die Quietschproblematik außer Acht lässt, die zu favorisierende Gleitpaarung für den jungen Patienten, da hier die Abriebproblematik auch nach vielen Jahren keine gravierende Rolle spielt.
Warum hat nun ein jüngerer Patient in den ersten 10 Jahren schlechtere Ergebnisse zu erwarten?
Es besteht ein Einfluss von Vorerkrankungen, bzw. vorbestehenden Gelenkpathologien, da ein hoher Anteil an sekundären Arthrosen vorliegt, weiterhin ein höherer Anteil von Deformitäten mit einer jeweils komplexeren Ausgangssituation, gepaart mit einer in der Regel höheren Erwartung und einer häufig höheren Aktivität. Was können wir somit heute tun, um die Ergebnisse bis 20 Jahre und darüber hinaus zu verbessern. Dies ist eher eine philosophische Frage, es sollte zementfrei implantiert werden, so viel Knochen wie möglich erhalten bleiben, Beinlängen und Offset optimal ausgeglichen werden, eine hochwertig Gleitpaarung gewählt werden. Gescheitert in diesem Zusammenhang sind in Teilbereichen der Oberflächenersatz, die Metall-Gleitpaarung und modulare Schaftverbindungen und allzu große Prothesenköpfe, die beim jungen Patienten nichts bringen.
Der Einfluss der zahlreichen Innovationen, wie z. B. das minimalinvasive Vorgehen, die Pfannennavigation und die kurzen Schäfte, auf die Revisionsrate ist noch nicht klar belegt.

Adipöser Patient

Die Prothesenüberlebensrate korreliert, basierend auf dem Australischen Register des Jahres 2020 eindeutig mit der Adipositas. Ein Patient mit einem BMI von > 40 hat nach 4 Jahren eine Revisionsrate von 4 %, der Patient mit einem BMI von < 18,5 nur von 1 %. Somit spielt die Adipositas bei den Risiken für die Revision eine wesentliche Rolle, einerseits was die frühe Komplikationsrate angeht, andererseits aber auch was das langfristige mechanische Versagen angeht.
Craik und Mitarbeiter (2016) konstatieren, dass 5 von 25 untersuchten Implantaten im Englischen Register eine Adipositas als Kontraindikation in der Produktbeschreibung aufwiesen. Dies führte letztendlich dazu, dass 16 % aller adipösen Patienten, dies waren immerhin 10.745 Patienten, ein Implantat gegen Herstellervorgaben implantiert bekommen haben.
Es ist unbestritten, dass bei deutlich erhöhtem BMI die Überlebensrate und das funktionelle Ergebnis der Endoprothese schlechter und die Wundheilungsstörungen, die Prothesen- und Weichteilinfektionen und die Mortalität erhöht sind.

Standzeiten und deren Einflussvariablen

Evans und Mitarbeiter (2019) haben sich in einem systemischen Review und einer Meta-Analyse von Fallserien und Nationalen Registern mit der Revisionswahrscheinlichkeit von Hüfttotalendoprothesen auseinandergesetzt. Von etwas über 4000 Referenzen blieben 299 für eine entsprechende Auswertung übrig. Diese wurden noch um die nicht englischsprachigen Artikel bereinigt. Somit konnten in Summe 58.932 Prothesen aus Publikationen und Registern ausgewertet werden. Sie kritisieren, dass Registerdaten zwar die gesamte Population abbilden, in der Realität aber stark davon abhängen, welche Daten übermittelt werden. Hier sei angeführt, dass nicht wie beim EPRD die Revisionen über die Krankenversicherungen gemeldet werden, sondern vom revidierenden Operateur eingegeben werden müssen und hier ist fraglich, ob dies in Gänze immer so erfolgt.
Bei Fallserien sehen sie ein selektiertes Patientengut, aber bemängeln die fehlende Möglichkeit der Verallgemeinerung der Ergebnisse. Ebenso ist bei Fallserien oft unklar, wie mit den Patienten verfahren wird, die in der Nachverfolgung verloren gehen und somit die Gefahr eines Selektionsbias entsteht. Insbesondere spielt bei den Fallserien die Patientenselektion eine wesentliche Rolle. Hier seien nur Alter, Geschlecht und Art des Implantates genannt.
Zahlreiche Register bedürfen zur Bezeichnung Revision der Eingabe durch den revidierenden Operateur, nur im Endoprothesenregister Deutschland ist dies anhand der Abrechnungsdaten zu eruieren.
Ebenso weisen die Autoren darauf hin, dass ein Versagen der Hüfttotalendoprothese auf verschiedenen Wegen ermittelt werden kann. Hier ist die Revision als auslösender Faktor definiert. Alternativ sind natürlich Schmerzen und andere Parameter ebenso zu berücksichtigen, die aber sehr individuell betrachtet werden müssen. Würde man alle Patienten mit leichten bis schweren Schmerzen als Versager berücksichtigen, so wäre das Langzeitergebnis der Hüfttotalendoprothese möglicherweise schlechter. Eine andere Studie zeigt, dass 7–23 % der Patienten, die nicht revidiert wurden, ihr Ergebnis aufgrund der geklagten Beschwerden als fehlerhaft bezeichneten (Beswick et al. 2012).
Gepoolte Daten aus Fallserien können nicht nach Patientenfaktoren adjustiert und stratifiziert werden, obwohl diese eine wesentliche Rolle auf die Prothesenstandzeit haben können (Evans et al. 2019). Frauen hätten üblicherweise eine bessere Prothesenstandzeit in allen Altersklassen als Männer. Ohne individuelle Patientendaten waren die Autoren nicht in der Lage, ein spezifisches Risiko für individuelle Merkmale, wie z. B. die Charakteristika Alter und Geschlecht anzugeben. Ebenso sind, wie bereits oben erwähnt, verschiedene Implantatkombinationen, die ein früheres Versagen aufzeigen, ebenfalls in den meisten Studien gepoolt.
Evans und Mitarbeiter kommen basierend auf ihrer Analyse zu folgendem Ergebnis (2019): „Obwohl nicht genug Informationen derzeit verfügbar sind, um exakt zu kalkulieren, wie lange eine Hüfttotalendoprothese halten wird, gehen wir anhand der von uns ausgewerteten Studien und Register davon aus, dass Dreiviertel aller Hüfttotalendoprothesen 15–20 Jahren halten und etwas über die Hälfte eine Standzeit von 25 Jahren aufweist. Dies ist allerdings bezogen auf die Revision.“
Die Einschätzung der Standzeit der Hüfttotalendoprothese müsste sowohl nach patientenspezifischen Faktoren, als auch nach prothesenspezifischen und operateurspezifischen Faktoren differenziert werden. Dies geben die Register bezogen auf die langfristige Standzeit derzeit nicht her.

Fazit für die Praxis

Die Standzeit der Hüfttotalendoprothese unterliegt sehr individuellen Faktoren bezogen auf Patient, Operateur und Material. Die hier gezogene Schlussfolgerung, dass über 50 % der primären Hüftprothesen nach 25 Jahren noch nicht revidiert sind, bezieht alle komplexen Versorgungen, alle Prothesenmodelle und alle Altersgruppen und Risikogruppen an Patienten ein. Die Standzeit könnte für ausgewählte Gruppen niedriger, für andere Gruppen jedoch auch deutlich höher liegen. Insgesamt wird hierdurch der große Erfolg des Hüftgelenkersatzes bestätigt.
Literatur
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Craik JB, Bilcher MD, Rickman M (2016) Hip and knee arthroplasty: implants contraindicated in obesity. Ann R Coll Surg Engl 98:295–229CrossRefPubMedPubMedCentral
Evans JT, Evans JP, Walker RW, Blom AW, Whitehouse MR (2019) Sayers A: how long does a hip replacement last? A systematic review and meta-analysis of case series and national registry reports with more than 15 years of follow-up. Lancet 393:647–654CrossRefPubMedPubMedCentral
Havelin LI et al (2019) The Nordic Arthroplasty Register Association. A unique collaboration between 3 national hip arthroplasty registries with 280,201 THRs. Acta Orthop 80(4):393–401CrossRef
Learmonth ID, Young C, Rorabeck C (2007) The operation of the century: total hip replacement. Lancet 370(9597):1508–1519. https://​doi.​org/​10.​1016/​S0140-6736(07)60457-7CrossRefPubMed
Morlock M, Melsheimer R, Grimberg A (2021) Endoprothesenregister Quo Vadis – Brauchen wir ein Benchmarking für Implantate in Deutschland? Orthopädische Nachrichten 10.2021